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Aus dem Alltag eines DJs

Das leidige Thema: Liederwünsche von Discothekengästen

(Geschätzte Lesezeit: 4 - 8 Minuten)

Das leidige Thema: Liederwünsche von DiscothekengästenDJs haben es nicht immer einfach.

Jedes Wochenende prallen sie unvermeidlich aufeinander, die Liederwünsche der Discothekengäste mit dem musikalischen Programm der DJs in den Clubs. Und obwohl das Thema so alt ist wie die Discothekenlandschaft selber, so hat sich in den letzten Jahren doch einiges zum Schlechteren gewandelt.


Mehrere Sachen seien von Anfang an klar vorausgesetzt:

1) Dieser Beitrag ist logischerweise stark subjektiv, beruht aber auf Beobachtungen, die ich fast jedes Wochenende in verschiedenen Clubs des Landes mache.

2) ...und das ist ein wichtiger Punkt: als langjähriger DJ bin ich NICHT gegen Liederwünsche. Ganz im Gegenteil: im besten Falle sind sie eine grosse Bereicherung für den Abend und können den auflegenden Mann an der Front auch auf neue Ideen oder Trends stossen.

3) Dieser Beitrag ist nicht als Degradierung der Gäste gedacht; ganz im Gegenteil, vielleicht hilft er, dieses leidige Thema aufzuschlüsseln und unliebsame Situationen zu vermeiden.

 

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Der Ist-Zustand

Letztes Wochenende war es wieder soweit: die deutsche Großraumdiskothek hat geöffnet, der Abend ist soweit gut gelaufen, der DJ hat sein Bestes gegeben, um dem Gast die bekannten Hits sowie einige Neuheiten unterhaltsam zu verpacken. Zu fortgeschrittener Stunde kommt die (leicht angetrunkene) Dame zum DJ-Pult und fragt, ob sie Liederwünsche äußern kann. Natürlich, kann sie, gerne genommen. Sie fragt, wann denn „Hardcore“ gespielt wird. Die Antwort, dass in dem Laden „nie Hardcore läuft“ und davon abgesehen die Fülle auf der Tanzfläche solche Experimente gar nicht erst zulässt, wird ignoriert. Die Dame weist auf ihren Freund hin, der mit Sicherheit auf Hardcore tanzen wird, ein paar andere werden es auch mögen. Auf eine zweite Ablehnung des Liederwunsches reagiert sie erbost. Sie wird an dem Abend mit demselben Wunsch noch drei Mal kommen und jedes Mal genau zwei genervte Leute zurücklassen: den DJ und sich selber.

Diese Szene ist austauschbar: es ist egal, ob sich der Bootshaus-Besucher einen Chart-Hit im Original wünscht oder der Besucher der kleinen Dorfdisse um die Ecke eine Runde TechHouse. Permanent und seit jeher prallen musikalische Vorstellungen der Gäste mit der Set-Auswahl des DJs aufeinander; meistens resultiert das in Unverständnis, Ausreden (der DJs), Ärger, nur selten bringt es eine der beiden Parteien wirklich weiter. Und aus eigener Sicht als DJ bin ich zu dem Schluss gekommen, dass das auch mal anders war und dass die Liederwünsche der Gäste nicht mehr das sind, was sie mal waren. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen man mit dem Wunsch wirklich etwas anfangen konnte, in denen der Wunsch den Abend wirklich vorangebracht hat, in denen man als DJ den Eindruck hatte, hier hat der Gast tatsächlich mitgedacht und den richtigen Einfluss ausgeübt.


Die Position des DJs

Der Resident-DJ -und jetzt heisst es aufgepasst für alle Gäste- ist am Abend der verlängerte Arm der Discothek. Das bedeutet:

1.) Er orientiert sein Set an der grundsätzlichen Ausrichtung des Ladens und seiner Area. Beispiel: der DJ in der Discofox-Area wird kein Hardstyle spielen und der DJ in der kommerziell ausgerichteten Grossraumdiscothek wird kaum eine Hardcore-Runde zum Besten geben (es sei denn, es ist ausdrücklich vom Chef gewünscht).

2.) Er orientiert sich am Motto des Abends. Beispiel: beim ernsthaften Trap-Event ist die Techno-Runde nicht gefragt. Sich das zu wünschen ist überflüssig.

3.) Er orientiert sich an der Fülle seiner Tanzfläche. Beispiel: ist es 3.30 Uhr, der Club schliesst aber erst um 5 Uhr, obwohl die Gästefülle bereits nachgelassen hat, so wird der DJ eher auf die Hits setzen als auf totale Nischenmusik. (Ausnahmen bestätigen die Regel)

4.) Ein guter DJ orientiert sich an dem, was er bereits gespielt hat. Sich die eine Helene-Fischer-Single zu wünschen, wenn sie schon dreimal lief am selben Abend (und sorry, liebe Gäste, die Antwort „Da war ich aber nicht da!“ zählt nullkommanull), wird höchstwahrscheinlich zur Ablehnung des Wunsches oder einer unglücklichen Ausrede seitens des DJs führen.


Was wird da eigentlich gewünscht?

Der Resident-DJ als derjenige, der also den kompletten Überblick über Ausrichtung und Verlauf des Abends hat, wird dann aber mit einer Reihe Anfragen konfrontiert, die man in folgende Kategorien einteilen kann:

1.) Es werden Lieder gewünscht, die ohnehin jedes Wochenende in dem Club laufen und zum Standard des Abends gehören.

2.) Es werden Lieder gewünscht, die auf keinen Fall in dem Club laufen (Gründe siehe oben).

3.) Es werden Lieder gewünscht, die tatsächlich Sinn machen, weil der DJ sie vielleicht vergessen hat (das gibt’s tatsächlich) oder weil sie älter sind oder ganz neu etc.

Kategorie 3 beschreibt den besten Fall, nämlich den, dass der Gast dem Abend bisher beigewohnt hat, den Laden kennt, das Motto des Abends kennt und sich tatsächlich Gedanken gemacht hat, was fehlen könnte. Leider entsprechen 90% der Liederwünsche den anderen beiden Kategorien. Da werden um 22 Uhr bereits Lieder gewünscht, die ohnehin laufen, als ob der Gast sicherstellen will, dass die Tracks auch WIRKLICH gespielt werden oder schon jetzt laufen. Da wird eine halbvolle Tanzfläche in der Kommerzdisse ignoriert und vehement Hardcore gewünscht; wenn der DJ das nicht macht, ist er ein Idiot. Da gibt es die sogenannten „Spezialisten“, die anscheinend die Internetforen nach den Ankündigungen von Liedern absuchen, die erst in einigen Wochen erscheinen und sich grundsätzlich nur diese wünschen, bei Ablehnung mit der abschließenden Aussage, der DJ sei ja nicht aktuell. Da werden stapelweise Musikrichtungen gewünscht, die in der jeweiligen Discothek oder an dem Abend überhaupt gar nicht stattfinden. Dringend muss auch nochmal der HipHop-Hit gespielt werden, der bereits um 23:00, 1:30 und um 3:00 Uhr lief. Oder generell HipHop, wenn HipHop gerade gespielt wird. Und und und...

Zudem wird es für den DJ umso schwieriger, je schwammiger oder genereller der Wunsch des Gastes wird. So bin ich beispielsweise hoffnungslos überfordert, wenn sich ein Gast bei mir etwas „Gutes“ wünscht oder ein unbestimmtes Genre, dass „bekannter“ ist oder einfach nur „was anderes“. Oder wenn das gehört werden möchte, „was vorhin lief“. Oder etwas, dass „abgeht“. Zudem ist es auch sehr hilfreich, wenn der Fragende sich mit Titel / Interpret des gewünschten Liedes ansatzweise auskennt. Zumindest sollte aber klar sein, dass beispielsweise Calvin Harris nicht dem Genre Techno zugeordnet werden kann. Die Liste der Epic Fails am DJ-Pult ist lang...

 

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Die Vermeidung der Situation

Um es noch einmal klar zumachen: es sollen hier keine Gäste denunziert werden. Wichtig ist aber, sich mal Gedanken über folgende Dinge zu machen, bevor man die Reise ans DJ-Pult antritt und möglicherweise eine Diskussion auslöst, die den DJ von der Arbeit abhält und alle Parteien unglücklich macht:

1.) Läuft mein Lied nicht sowieso immer hier? Oder läuft nicht gerade das, was ich hören will? (Das klingt nach einem Witz, aber ich kann Bücher schreiben über Leute, die sich das wünschen, was gerade läuft...)

2.) Läuft sowas überhaupt hier? (Man kann nach Laden-untypischen Musikrichtungen immer fragen, auch nach ganz neuen Liedern, aber sollte sich immer darauf einstellen, dass so etwas abgelehnt wird aus o.g. Gründen)

3.) Lief das nicht schon?

4.) Bietet die Fülle der Tanzfläche überhaupt genug Potential für meinen Wunsch?

Wenn man sich als Gast diese einfachen Fragen stellt (das geht auch betrunken, glaubt es mir), das eigene Ego mal wegpackt und an den Abend und seine Mitfeiernden denkt, kann man den Zusammenprall des eigenen Wunsches mit dem Set des DJs in 90% der Fälle vermeiden.


Grundsätzlich...

Gute Wünsche wird kein DJ ablehnen, sondern grundsätzlich willkommen heißen. Er wäre dumm, dies nicht zu tun. Und der DJ will auch keinen Streit mit seinem Publikum, ganz im Gegenteil. Aber ihm obliegt als Mann an der Front auch im Moment des Wünschens, die ganzen oben genannten Kriterien gegen den Wunsch des Gastes abzuwägen und zu entscheiden, ob es Sinn macht, ob es „passt“. Diesen Schritt kann man als Gast eigentlich auch schon selber vorher machen und muss ihn nicht erst am DJ-Pult vordiskutiert bekommen.

Zudem ist der Gast tatsächlich beim Wünschen aufgerufen, sich mit seinem Wunsch auszukennen. „Spiel mal was Gutes...“ sorgt für Unverständnis, möglicherweise Erheiterung beim DJ, in jedem Fall aber wird es den Gast in seinem Vorhaben, Einfluss auf das musikalische Programm zu nehmen, nicht weiterbringen. Lieber Gast, denke einfach vorher mal darüber nach, was Du überhaupt hören möchtest und kommuniziere es so genau wie möglich; alles andere wird scheitern.

Und - das sei im Nebensatz erwähnt - bei mir am DJ-PULT gibt es Musik, keine Getränke oder Essen!

In diesem Sinne freue ich mich am kommenden Wochenende auf viele Zettel, die mich auf neue Ideen bringen, aber vor allem ALLEN Gästen im Club Spass bringen! Das war früher möglich und kann auch heute wieder so sein...

 

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Über den Autor
Jens Ophälders

Die Genetik ist letztendlich schuld: vom Vater mit großer Liebe zur Musik ausgestattet, von der Mutter mit dem Talent zum Schreiben. Dance-Charts bildet daher für mich die Symbiose dieser beiden Eigenschaften, endlich mal Schreiben über eine der tollsten Sachen der Welt: Musik! Reviews zu neuen Singles sind dabei ebenso auf meiner Tagesordnung wie Beobachtungen zur Entwicklung der mittlerweile 35-jährigen Geschichte kommerzieller, elektronischer Dance Music (und aller dazugehörigen Nebenschauplätze). info (at) jompsta.com

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