Screenshot aus dem laufenden Programm des ESC in der ARD
Steht das Foto sinnbildlich für den Eurovision Song Contest 2017? Ich bin der Meinung, dass das Gefühl fehlte. Trotz Balladen im Überfluss und immer wieder bekannten Songs mit wenig Beats per Minute, wirkte alles sehr nach „reusable music“ (Einwegmusik oder besser: wiederverwendete Musik), wie es der portugiesische Gewinner Salvador Sobral in seiner kurzen Ansprache sehr treffend beschrieb.
Diese wenigen Sätze versöhnten mich mit dem sehr flachen Abend. Sobral sagte weiter: "This is a vote for people who actually mean something with their music. Music is not fireworks, music is feeling, so let's try to do this and bring music back.” (“Dies ist eine Entscheidung für die Menschen, die tatsächlich etwas mit ihrer Musik ausdrücken möchten. Musik ist kein Feuerwerk, Musik ist Gefühl, also lasst uns versuchen die Musik zurückzubringen.“)
Sobrals Aussage ist ein zweischneidiges Schwert. Warum begibt sich ein echter musikalischer Künstler überhaupt auf das glitzernde Glatteis des medialen Scheins des ESCs, wenn er verdammt ist verlieren zu müssen? Und noch viel entscheidender ist die Frage: Warum hat dieser schräge Typ mit dem (für ESC-Verhältnisse) gewöhnungsbedürftigen Song gewonnen?
Der Eurovision Song Contest ist ein nationaler Wettbewerb für Liedermacher, das ist in den letzten Jahren oft in den Hintergrund gerutscht. Eigentlich sind die offiziellen Gewinner des ESCs die Namen, die kurz vor Beginn des Liedes mit dem Songtitel eingeblendet werden, nämlich die Songwriter und Texter. Sobral hat diese Grundidee in den Fokus zurückgeholt, als er den Song zum Abschluss gemeinsam mit seiner Schwester, die das Lied geschrieben hat, performte. Ein schönes Zeichen.
Dennoch werde ich aus dem Gewinner und Gewinnersong nicht schlau. Das Jahr wird zeigen, ob Sobral den Erfolg nutzt, um einen (kleinen) Ruck in Richtung „Musik als Kunst“ auch beim ESC zu bewirken, oder ob er nur als Exot gewählt wurde, weil es mal wieder an der Zeit war, der „Lordi-Effekt“ sozusagen.
Ein Absatz bleibt noch für Levina. Ich brauche den Song oder die Person nicht zu zerlegen, denn der Song war im durchschnittlichen Bereich, die Stimme nicht schlecht und Levina sympathisch. Dennoch war klar, dass Deutschland am Ende abgelegt wird. „Warum sind alle gegen uns?“, wird schnell geschrien, doch das ESC-Problem ist hausgemacht. Ich habe es einmal den „Preußischen Stock im Arsch“ genannt (schon wieder dieser Kraftausdruck…) und zuletzt „belanglose Auf-Die-Eins-Und-Drei-Musik“. Das fasst es noch immer gut zusammen. Die deutsche ESC-Musik wird für den deutschen Markt konzipiert, was natürlich eine gute Stimmung im Land erzeugt, aber was keinen einzigen Punkt im ESC abwirft.
Zudem wird versucht, jede Form von Extravaganz, Besonderheit oder einfach nur schrägem Spaß am ESC-Leben zu ersticken, da die Angst der deutsche ESC-Macher vor dem schlechten Abschneiden die öffentlich-rechtlichen Köpfe lähmt. Es gibt genügend Lordis oder Sobrals in Deutschland, einem kreativen und innovativen Land. Lasst sie doch einfach mal auf den ESC los!
Fazit: Neben einem ostblock-charmingen Moderationsteam und schnell vergänglichen Musikbeiträgen waren die Highlights ein Song, der so überhaupt nicht in den ESC passt, ein Einspieler mit dem schwedischen Gewinner und Moderator Måns Zelmerlöw und ein Flitzer mit nacktem Hintern im Pausenprogramm. Kein Eurovision Song Contest für die Ewigkeit.
Sei der Erste, der hier einen Kommentar schreibt.