Der Fliegeroverall sitzt noch, das Grinsen ist noch immer das gleiche wie vor 36 Jahren, nur die Flugzeuge sind moderner. Nach langem Hin und Her erscheint mit Top Gun - Maverick nun endlich die Fortsetzung des Kultfilms von 1986. Nach mehreren vergeblichen Anläufen, das Projekt in den frühen 2010er-Jahren zu realisieren, die letztlich am Tod des Regisseurs Tony Scott im Jahr 2012 scheiterten, teilt Top Gun: Maverick das Schicksal vieler Filme aus den Zeiten der Corona-Pandemie - nämlich das der schier endlosen Verschiebungen. Nachdem der Film ursprünglich für Juni 2020 angesetzt war, bekommen wir das Flugspektakel nun zwei Jahre später zu sehen. Ganz besondere Aufmerksamkeit verdient natürlich abermals die musikalische Untermalung des Sequels, nachdem der Soundtrack von Top Gun aus der Feder Harold Faltermeyers, Hans Zimmers und Kenny Loggins' im Jahr 1986 Geschichte schrieb. Take My Breath Away von Berlin, das Liebesthema des Films, konnte sogar den Oscar und Golden Globe als bester Song gewinnen.
Top Gun: Maverick setzt 34 Jahre (wir erinnern uns: Der Film sollte ursprünglich 2020 erscheinen) nach der Handlung des ersten Films an. Pete „Maverick“ Mitchell ist mittlerweile der höchstdekorierte Captain (entspricht dem deutschen Kapitän zur See) der US Navy, ständige Disziplinprobleme verhindern seither seinen weiteren Aufstieg. Und genau damit steigen wir auch direkt in die Handlung ein: Mit „Maverick“ (zu Deutsch: „Einzelgänger“), der seinem Namen wie auch bereits im Originalfilm alle Ehre macht. Als Strafe für seine Eskapade wird Mitchell vor die Wahl gestellt: Entweder er bildet eine Gruppe junger Top-Piloten für eine Mission aus, der es an keiner Stelle an Extrema und Superlativen mangelt, oder ihm blüht die unehrenhafte Entlassung aus der US Navy.
Es fällt auf, dass bereits der Einstieg in den Film etwas unmotiviert wirkt. Maverick wäre nach all seinen kleinen Vergehen ungeachtet seiner diversen Ehrungen zumindest nach seinem letzten Fehltritt wohl keinesfalls mehr Mitglied des Militärs - eine Nummer kleiner hätte es an dieser Stelle auch getan. Im Folgenden nimmt sich der Film im ersten Akt vergleichsweise viel Zeit, um dem Zuschauer die neue Pilotentruppe und Mavericks neues Love Interest Penny (Jennifer Connelly) vorzustellen. Sofort fühlt man sich an die Topoi erinnert, die den ersten Film durchzogen - Verlustängste, Freundschaft, Konkurrenz. Mit Glen Powells „Hangman“ gibt es sogar einen neuen „Iceman“ (im Originalfilm gespielt von Val Kilmer) - das Stereotyp des allzu arroganten Alleskönners. Miles Teller gibt den bereits im ersten Film kurz präsenten Sohn von Mavericks verstorbenem Flügelmann „Goose“ („Gans“), passenderweise genannt „Rooster“ („Hahn“). Wie zu erwarten ist, setzt Top Gun: Maverick an besonders in dieser frühen Phase ganz gezielt auf Nostalgie. Kenny Loggins' im Originalfilm omnipräsenter Hitsong Danger Zone darf hier natürlich ebenso wenig fehlen wie Jerry Lee Lewis' Great Balls of Fire. Glücklicherweise beschränkt es sich bei Ersterem auf eine Handvoll Szenen, in Top Gun (1986) lauerte das Lied salopp gesagt noch an jeder zweiten Straßenecke (die übrigen besetzte Berlins Take My Breath Away).
Die alten F-14 „Tomcats“ aus den 80er-Jahren sind moderneren F/A-18 „Super Hornets“ gewichen, wenngleich es sich auch bei diesen Flugzeugen natürlich nicht mehr um die jüngsten Jagdmaschinen im US-Arsenal handelt. Modernere Maschinen, so die Prämisse, wären für das Missionsprofil ungeeignet. An dieser etwas unbefriedigenden Erklärung kann man sich stören, oder aber man genießt schlicht die Augenweide, die der Betrieb der „Super Hornets“ bietet. Gab es bereits im Originalfilm eine ganze Menge Flugspektakel zu sehen, setzt Top Gun: Maverick an dieser Front noch einmal einen drauf. Allein im ersten Akt des Films finden sich vier (!) mehrminütige Flugsequenzen, die sich natürlich ganz fantastisch darstellen, auf Dauer jedoch ermüdend wirken. Gerade an dieser Stelle hätte man auf eine der Szenen verzichten können, um die Beziehung und den Konflikt zwischen Maverick und Rooster etwas mehr zu vertiefen. All das Potenzial, das diese explosive Kombination bietet, wurde leider in einigen Nebensätzen und einer kurzen Eskalation verschwendet.
Auch im zweiten Akt reißt der stete Strom an Flugsequenzen natürlich nicht ab. Maverick führt die jungen Top-Piloten langsam an die Parameter ihrer bevorstehenden Mission heran. Mit jeder neuen Aufgabenstellung wird klar, wie extrem die Anforderungen an die Crew sind. Nach dem Durchflug eines Canyons in extrem niedriger Höhe mit halsbrecherischer Geschwindigkeit soll ein geradezu winziges Ziel getroffen werden, ohne dabei das Feuer der Luftabwehr und der feindlichen Abfangjäger der fünften Generation auf sich zu ziehen. Na, kommt uns das bekannt vor? Die Hommage an George Lucas' Krieg der Sterne (1977) ist wohl unübersehbar. In der Tat orientiert sich der gesamte Zielanflug mitsamt Lagebesprechung auch visuell extrem an Lucas' Klassiker.
Während der zahlreichen Trainingseinheiten nimmt sich der Film wie auch schon der Vorgänger viel Zeit, um das Thema Verlustängste zu behandeln. Da die Produktion abermals mit erheblicher finanzieller und logistischer Unterstützung des US-Militärs zustande kam, schockierte mich die geradezu skrupellose Darstellung des Kommandostabs umso mehr, als im Film offen erwogen wird, die Piloten zugunsten des Missionsziels zu opfern und auf einen Einsatz ohne Wiederkehr zu schicken. Besonders rührend gestaltet sich dagegen Val Kilmers kurzer Cameo-Auftritt als alternder Admiral Tom „Iceman“ Kazanski. Kilmer litt im Vorfeld der Dreharbeiten an Kehlkopfkrebs und brachte sich nach den umfangreichen chirurgischen Eingriffen im Laufe eines Jahres das Sprechen mit einer sogenannten „Ersatzstimme“ selbst erneut bei. Kilmers extrem würdevoll inszenierter Kurzauftritt markiert - ohne zu viel zu verraten - zugleich auch den Turning Point des Films.
Gerade die finalen Konfrontationen bieten abermals ein fliegerisches Spektakel sonders gleichen. Einige wenige CGI-Explosionen wirkten dabei zwar leider etwas verwaschen, im Großen und Ganzen gibt gerade hier visuell wenig auszusetzen. Ein als Ehrengast geladener Offizier der US-Luftwaffe bemängelte im Nachhinein den mangelnden Realismus einiger Einstellungen - so sei unter anderem der Einsatz von Täuschkörpern gegen die im Film gezeigten Luftabwehrraketen wohl aussichtslos und einige der Manöver würden wohl auch die Flugzeuge völlig überfordern. Aber diese kleineren Mängel trüben den Gesamteindruck keineswegs.
Insgesamt bleibt Top Gun: Maverick leider etwas vorhersehbar, vermag es aber, sich trotz offensichtlicher Parallelen von seinem Vorgänger zu lösen. Fanservice und Hommagen an den Originalfilm beschränken sich erfreulicherweise größtenteils auf visuelle Elemente. Tatsächlich bedient sich Regisseur Joseph Kosinski sogar dutzendfach an Kameraeinstellungen oder gar ganzen Szenen des ersten Films - jedoch fast immer in einem gänzlich anderen Kontext. Diese Tendenz reicht von profanen Einstellungen wie einem sich die Hände (in Unschuld?) waschenden Tom Cruise bis hin zu diversen charakteristischen Flugmanövern des ersten Films. Einzig die Eröffnungssequenz entspricht komplett der des 80er-Jahre-Films und zeigt startende Flugzeuge in Roadmovie-Optik. Hatten mich in Top Gun (1986) noch einige von Tom Cruises Gesichtsausdrücken noch rätselnd zurückgelassen, läuft er hier zu absoluter Bestform auf. Man merkt in jeder Szene, wie viel Spaß ihm der Dreh dieses Films und seine Paraderolle offenkundig gemacht haben. Einzig eine Schlafzimmerszene fällt hier etwas aus dem Rahmen. Anstelle von geballter Romantik ist die Sequenz insbesondere was die Kameraarbeit betrifft mehr wie die Todesszene eines Helden in einem Kriegsfilm inszeniert, was nicht nur mich orakelnd in meinem Kinosessel zurückließ.
Musikalisch sind die Hommagen an den Vorgänger natürlich geradezu unüberhörbar. Abermals wurden die deutschen Filmmusik-Legenden Harold Faltermeyer und Hans Zimmer engagiert. Ohne den 80er-typischen extremen Reverb auf sämtlichen Instrumenten und Drums kommen die alten Filmsongs natürlich weiterhin nicht aus und so sind Danger Zone, Great Balls of Fire und der prägende Top Gun Anthem natürlich abermals präsent. War Top Gun noch ein Kind der 80er-Jahre und bediente sich größtenteils Synthiepop- und Rockmusik als Soundtrack, nehmen die Arcade-Sounds und E-Gitarren in Top Gun: Maverick nur noch eine Nebenrolle ein und räumen das Feld für Hans Zimmers Sinfonieorchester. Seine wie gewohnt bombastischen Kompositionen lassen die gesamte Inszenierung eine Spur erwachsener wirken, was dem Film gut tut - schließlich ist auch der einst jugendliche Titelheld mittlerweile erwachsen geworden (mit stolzen 60 Jahren!). Absolutes Highlight bleibt natürlich Lady Gagas musikalischer Schlusspunkt „Hold My Hand“, eine stimmgewaltige Poprock-Ballade mit absolutem Gänsehautfaktor. Ist hier etwa Lady Gagas (und Top Guns!) zweiter Filmsong-Oscar nach Shallow in Reichweite? Insgesamt liefern die beteiligten Musiker jedenfalls erneut exzellente Arbeit ab.
Fazit: Trotz leichter Abzüge in der B-Note kann ich mich dem Urteil des geschätzten USAF-Offiziers anschließen: „Hands down the best Aviation Movie ever made!“ ("Zweifellos der beste Luftfahrtfilm, der je gedreht wurde!") Tom Cruises Schauspiel, die bombastische Inszenierung und ganz besonders der Soundtrack lassen alle Bedenken hinsichtlich der über weite Strecken etwas vorhersehbaren und teils leider etwas unmotivierten Filmhandlung verblassen. Fanservice bleibt erfreulicherweise weitestgehend visueller Natur und stört dadurch kaum den Erzählfluss (nehmt euch daran ein Beispiel, Lucasfilm!). Ich bin daher sogar geneigt, Top Gun: Maverick als das wohl beste Sequel/Remake des letzten Jahrzehnts und mit Sicherheit auch als Joseph Kosinskis bislang besten Film zu bezeichnen.
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