Es scheint, als mauserte sich 2022 noch zum Jahr der späten Sequels. Was bereits mit „Top Gun - Maverick“ hervorragend gelang (wir berichteten), der bislang immerhin als der bei Weitem erfolgreichste Film des Jahres die BoxOffice-Listen anführt, soll nun - 13 Jahre nach dem fulminanten Erfolg des bislang erfolgreichsten Films aller Zeiten - auch James Camerons „Avatar - The Way of Water“ als dessen Sequel gelingen. Wie bereits „Top Gun“ wurde auch der zweite „Avatar“-Film von zahllosen Verschiebungen geplagt. Ursprünglich war die Fortsetzung bereits im Jahr 2015 geplant und wurde peu-a-peu bis jetzt hinausverschoben, während alle Jahre wieder Meldungen die Runde machten, denen zufolge Cameron den „Avatar“-Kanon auf fünf und zuletzt sogar sieben Filme zu erweitern plane. Ob es wirklich dazu kommt, hängt derzeit ganz vom Einspielergebnis des zweiten Teils ab, der am 14. Dezember in den deutschen Kinos debütiert. Die Messlatte könnte dabei nicht höher sein - nicht zuletzt aufgrund des überwältigenden Erfolgs des ersten Films und aufgrund der Tatsache, dass „Avatar - The Way of Water“ mindestens zwei Milliarden US-Dollar einspielen muss (und damit zum mindestens vierterfolgreichsten Film aller Zeiten zu avancieren), um überhaupt die Verlustzone zu verlassen, und so geradezu zum Erfolg verdammt ist. Das und die Tatsache, dass das Titellied des neuen Films aus der Feder der Swedish House Mafia und des Singer/Songwriters The Weeknd stammt, sind Grund genug für uns, um James Camerons neustes Werk gründlich unter die Lupe zu nehmen.
Bereits vorneweg: Geht und schaut „Avatar - The Way of Water“ im Kino, denn genau dafür ist der Film gemacht. Das war bereits beim ersten Film 2009 der Fall und gilt für das Sequel umso mehr. Nachdem „Avatar“ seinerzeit einige Kritik für seine besonders angesichts der enormen Laufzeit etwas dünne Handlung einstecken musste - man sprach teils schon von „Pocahontas im Weltall“ -, waren die Erwartungen an das Sequel natürlich umso größer. Und nach Ansicht des Rezensenten hat James Cameron hier auch tatsächlich abgeliefert!
Die Handlung von „Avatar - The Way of Water“ setzt zehn Jahre nach dem ersten Film an. Dankenswerterweise nimmt sich Cameron hier etwas Zeit, um mit ganz viel Herz die Geschehnisse zwischen den Filmen zusammenzufassen. Medienberichten zufolge hatte er in der Vorproduktion für jeden wichtigen Charakter ein hundertseitiges Skript über dessen Werdegang verfasst, um den Darstellern ihre Figuren näherzubringen. Jake Sully und Neytiri haben mittlerweile drei Kinder bekommen und die Tochter der verstorbenen Wissenschaftlerin Grace Augustine adoptiert, als eines Nachts eine Flotte von Raumschiffen von der Erde eintrifft, um Pandora abermals zu besetzen.
Wer hinter den nun folgenden drei Stunden einen Standard-Actioner wähnt, der ähnlich dem dritten „Hobbit“-Film eine riesige Schlacht in Filmform nacherzählt, täuscht sich grundlegend. Cameron lässt die Handlung direkt um ein weiteres Jahr springen und konfrontiert uns mit dem Widerstand der Na’vi gegen die menschlichen Besatzer. Direkt zu Beginn werden wir als Zuschauer Zeuge eines Zugüberfalls und fühlen uns inszenatorisch direkt in klassische Western zurückversetz. Aber auch hier spielt Cameron mit unseren Erwartungen. War der erste Film noch eine winnetou-eske Form eines Westerns im Weltraum, biegt Cameron direkt zu Beginn in eine ganz andere Richtung ab.
Jake Sully, des Kämpfens Müde und nach einem Zwischenfall mit den neuartigen Avataren der Kolonisten in größter Sorge um die Sicherheit seiner Familie, beschließt, seinen Stamm zu verlassen und sich mit seinen Angehörigen einem anderen Clan der Na’vi anzuschließen, der einen weit entfernten Archipel bewohnt und sich im Gegensatz zu den bislang gezeigten Dschungelbewohnern den überwiegenden Teil seines Lebens im Meer aufhält. Was nun folgt, ist ein Porträt einer Alien-Familie auf der Flucht, die sich in einer neuen Heimat mit neuen Gebräuchen neuen Herausforderungen stellen muss - und letztlich dann doch von ihrer Vergangenheit eingeholt wird. Obwohl das doch ein eher ungewöhnlicher Ansatz für ein SciFi-Action-Epos zu sein schein, kommt auch die Action natürlich nicht zu kurz. Doch gerade im zweiten Akt des Films nimmt sich Cameron extrem viel Zeit für Charakterarbeit und Worldbuilding. Jake Sully und Neytiri treten dabei geradezu in den Hintergrund, während wir einen tiefen Einblick in die Herausforderungen und Chancen ihrer Kinder bekommen. Ohnehin dreht sich „Avatar - The Way of Water“ viel mehr um die Kinder der früheren Protagonisten und Antagonisten, denn um die eigentlichen Hauptcharaktere, was auf sehr angenehme Weise frischen Wind nach Pandora bringt.
War die bahnbrechende Real-D-3D-Technik des ersten Films bereits revolutionär, so setzt „Avatar - The Way of Water“ die Messlatte für gutes 3D-Kino nochmals ein ganzes Stück höher. Auch für diesen Film hat James Cameron wieder weder Kosten noch Mühen gescheut und abermals einen neuen 3D-Standard entwickeln lassen, der uns mit einer nie dagewesenen Vordergrundschärfe förmlich in die fantastische Welt von Pandora eintauchen lässt. Dazu kommt, dass der gesamte Film in 60FPS gedreht wurde, was man auch direkt bemerkt. Sämtliche Bewegungen wirken weitaus flüssiger und das gesamte Ambiente viel natürlicher als in herkömmlicher Bildrate oder auch in HFR. Das Ganze hat natürlich seinen Preis und ließ die Produktionskosten geradezu explodieren.
Wirkten Gestik und Mimik der vollständig animierten Na’vi im ersten Film noch recht hölzern und videospielartig, ist davon in „Avatar - The Way of Water“ nichts mehr zu spüren. Wir erleben hier wirklich ein ganz neues Level an Computeranimationstechnik, die so gar nichts mehr mit dem Videospiel-Flair der 2000er-Jahre zu tun hat. Es fühlt sich einfach alles echt an, obwohl die Hauptcharaktere allesamt computergeneriert sind. Camerons CGI-Teams haben es hier wirklich geschafft, das Uncanny Valley meilenweit hinter sich zu lassen und CGI in Perfektion abzuliefern. Im Vergleich zu den letzten „Marvel“- oder „Star-Wars“-Filmen (Warner-Filme mal außenvor gelassen, deren CGI hinkt ohnehin um Jahre hinterher) setzt „Avatar“ hier wirklich einen Meilenstein, der noch einige Jahre unerreicht bleiben wird - nämlich bis zum dritten Avatar-Film. Besonders hervorzuheben ist auch die enorme Qualität der zahllosen Unterwasseraufnahmen, für die Cameron in Kooperation mit Dolby eigens völlig neue Kameras entwickeln ließ. Das wort- wörtliche Eintauchen in Pandoras Unterwasserwelt ist eine wahre Augenweide.
Wir treffen wieder auf zahlreiche bekannte Tierdesigns und auch zahllose völlig neue Wesen in den Meeren von Pandora. Die Grafikabteilung hat sich hier wirklich extreme Mühe gegeben, um das Ökosystem von Pandora erneut zum Leben zu erwecken und noch zu erweitern. Es wirkt einfach alles wie aus einem Guss, was bei einem Perfektionisten wie James Cameron wenig verwunderlich scheint. Ohnehin ist Cameron bekennender Naturschützer und liebt Meeresbiologie - so sehr, dass er bereits zwei Tiefsee-Tauchfahrten in schwindelerregende Tiefen unternommen hat. Und das merkt man „Avatar - The Way of Water“ in jeder Szene deutlich an. Müsste man den Film in wenigen Schlagworten beschreiben, so wären „Familiendrama“, „Science Fiction“, „Naturdokumentation“ und „Rache“ wohl die passendsten.
Für musikalische Gestaltung von „Avatar - The Way of Water“ bediente sich Cameron nicht seines früheren Komponisten James Horner, sondern dessen Assistenten Simon Franglen, dem wir unter anderem „My Hear Will Go On“ aus „Titanic“ verdanken. Insgesamt gibt es musikalisch nur wenig zu berichten, der Filmscore tritt eher in den Hintergrund und setzt vor allem in den Unterwasserszenen mit Harfen- und Xylophonmelodien gelegentliche Akzente. Ansonsten handelt es sich um eine sehr funktionale Filmmusik, die man im Grunde kaum bemerkt, wenn man nicht besonders darauf achtet. Besonders erinnerungswürdige Themen wie in von John Williams, Howard Shore oder Hans Zimmer vertonten Filmen sucht man hier vergebens. Das hat allerdings auch seinen Charme, da die Musik die visuellen Faktoren hier dafür umso mehr unterstützt und weniger ablenkt.
Besonders hervorzuheben ist allerdings der Titelsong „Nothing Is Lost (You Give Me Strength)“, den niemand geringeres als der kanadische Singer-Songwriter-Superstar The Weeknd in Kooperation mit der Swedish House Mafia beisteuert. Es handelt sich nach „Moth To A Flame“ bereits um die zweite Zusammenarbeit des Superstars mit den schwedischen Produzenten. Der Titelsong besticht durch sein atmosphärisches Sounddesign, die gewohnt starken Vocals, die sich hinter so gut wie keinen Rhythmus- und Melodieinstrumenten verstecken, sondern eigenständig auf den Hörer wirken. Kombiniert mit Cinematic-Drumming, flächigen Sounds und gelegentlichen Chor-Einlagen ergibt das einen Titelsong mit Wiederspielwert, der zwar insgesamt etwas hinter Lady Gagas Power-Ballade „Hold My Hand“ aus „Top Gun - Maverick“ zurückbleibt, sich aber ohne weiteres zu den Top Fünf Filmsongs dieses Kinojahres zählen darf.
Fazit: James Cameron hat es sich und der Welt mit „Avatar - The Way of Water“ wieder einmal bewiesen. Mit ganz viel Gefühl und Charakterarbeit begleitet er uns auf unseren zweiten Besuch auf Pandora und beweist in jeder einzelnen Einstellung, was für ein Perfektionist er doch ist. Visuell ist der Film ein wahres Fest, das ausnahmslos jeden Film des letzten Jahrzehnts in den Schatten zu stellen vermag. Insofern sprechen wir an dieser Stelle eine absolute Empfehlung aus: Schaut euch den Film an! Im Kino! Denn genau dafür ist er gemacht.
Sei der Erste, der hier einen Kommentar schreibt.