Die Geschichte hinter dem Song: 'Robert Miles - Children'
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Wie eine Hymne der Tragödie entsprang

Die Geschichte hinter dem Song: 'Robert Miles - Children'

(Geschätzte Lesezeit: 9 - 17 Minuten)

Robert Miles - ChildrenDream-House-Hymne "Robert Miles - Children".

Es gibt musikalische Motive, die das bloße Hören transzendieren und zu kulturellen Zeitstempeln werden. Sie sind untrennbar mit einem Moment, einem Gefühl oder einer Ära verbunden. Wenige Takte genügen, und die Nadel des kollektiven Gedächtnisses springt präzise in eine Rille der Vergangenheit. Das Klavier-Riff von "Children" ist ein solches Motiv.


Das Echo eines Riffs

Wenn diese ikonische, melancholisch-hoffnungsvolle Melodie erklingt - eine Sequenz von Noten von fast kindlicher Einfachheit -, löst sie bei Millionen Menschen, die in den 1990er Jahren aufgewachsen sind, eine sofortige Welle der Nostalgie aus. Es ist der Klang eines Sonnenaufgangs nach einer durchtanzten Nacht, der Soundtrack zur "Love Parade", das akustische Symbol einer flüchtigen, optimistischen Ära zwischen dem Fall der Berliner Mauer und dem Anbruch eines neuen Jahrtausends.

Doch die wahre Geschichte hinter "Children" ist weitaus komplexer, tragischer und bewusster als seine Wahrnehmung als einfacher Eurodance-Hit. Dies war kein zufälliger Studio-Glücksgriff. Es war eine gezielte sozio-musikalische Intervention, konzipiert von einem jungen italienischen DJ und Produzenten namens Roberto Concina, der unter dem Pseudonym Robert Miles bekannt wurde.

Die zentrale These dieses Berichts lautet, dass "Children" als direktes Gegenmittel zur klanglichen und sozialen Aggression seiner Zeit komponiert wurde. Es war nicht als Höhepunkt der Nacht gedacht, sondern als "Abschalt-Track" (cooldown track), als ein bewusst beruhigendes Stück, das Miles am Ende seiner DJ-Sets spielte, um das Adrenalin der Clubgänger zu senken und sie sicher nach Hause zu geleiten.

Hierin liegt das zentrale Paradoxon, das das Phänomen "Children" definiert: Wie konnte ein Song, der absichtlich als sedierendes "letztes Stück" zur Beruhigung und zur Verhinderung von Tragödien konzipiert wurde, zu einem der größten globalen "Smash-Hits" werden? Wie konnte ein Wiegenlied zur ultimativen Party-Hymne mutieren, die die Charts in über einem Dutzend Ländern anführte und den Höhepunkt der Nacht markierte?

Die Antwort liegt in einem tiefen, ungestillten Bedürfnis des Publikums. Der überwältigende Erfolg des Songs war ein direktes Ergebnis des Widerspruchs zwischen seiner Absicht (Beruhigung) und seiner Wirkung (Euphorie). Die Clubgänger der 90er Jahre wollten nicht einfach nur beruhigt werden; sie sehnten sich nach der emotionalen, melodischen Katharsis, die der Track bot. In einer von aggressivem Rhythmus dominierten Szene bot Miles Trost. Das Publikum ergriff diesen Trost und zwang den Song aus der Nische des "letzten Tracks" ins unerbittliche Rampenlicht des Mainstreams, wodurch seine ursprüngliche Funktion für immer verändert wurde.


Wer war Roberto Concina?

Um die Entstehung von "Children" zu verstehen, muss man den Architekten verstehen. Roberto Concina wurde 1969 in Fleurier, Schweiz, als Sohn italienischer Einwanderer geboren. Die Familie kehrte nach Italien zurück, wo Concina in der kleinen Stadt Fagagna aufwuchs.

Seine musikalische Reise begann nicht in den Clubs, sondern im formalen Studium. Als Jugendlicher erhielt Concina eine klassische Klavierausbildung. Dieses Fundament in Musiktheorie, Harmonie und Melodiestruktur sollte sich als sein entscheidender Vorteil erweisen, als er sich der aufkeimenden elektronischen Musikszene zuwandte.

In den späten 80er und frühen 90er Jahren etablierte er sich unter dem Namen Robert Miles als prominenter DJ in den Clubs Norditaliens. Er wurde Zeuge - und Teil - des explosiven Wachstums der Dance-Kultur. Doch während die Szene kommerziell florierte, wuchs in Miles eine tiefe Unzufriedenheit.

Die italienische Clublandschaft war von zwei Extremen geprägt: auf der einen Seite die Überreste des kommerziellen Italo-Disco und Happy House; auf der anderen Seite der aufkommende, unerbittlich schnelle und aggressive Gabber- und Hardcore-Techno. Diese Stile, insbesondere Gabber, der Geschwindigkeiten von 160 bis 220 BPM (Beats Per Minute) erreichte, setzten auf puren, physischen Rhythmus und klangliche Aggression und verzichteten weitgehend auf Melodie.

Für Miles, den klassisch ausgebildeten Pianisten, war dies eine künstlerische Sackgasse. Er sah eine Tanzfläche voller junger Menschen, die sich in einen fast hypnotischen, aber emotionsleeren Rauschzustand peitschten. Seine Frustration war nicht nur ästhetischer, sondern auch philosophischer Natur.

Genau hier wurde Concina's klassische Ausbildung zu seinem "kulturellen Sprengstoff". In einer Szene, die Melodie zugunsten von Lärm geopfert hatte, war die Wiedereinführung einer starken, emotionalen, fast "kindlichen" Melodie ein revolutionärer Akt. Robert Miles beschloss, nicht mit den Waffen seiner Konkurrenten zu kämpfen - er würde keine härteren Bässe oder schnelleren BPMs einsetzen. Stattdessen nutzte er ein völlig anderes Arsenal: Musiktheorie.

"Children" war daher nicht einfach ein Techno-Track, dem ein Klavier hinzugefügt wurde. Es war im Kern ein klassisches Klavierstück, das auf einem modernen Techno-Fundament aufgebaut war - eine Struktur, die durch die Drumcomputer Roland TR-808 und TR-909 ermöglicht wurde. Dieser Akt der klanglichen Rebellion, der Melodie über Rhythmus stellte, war nur aufgrund seines spezifischen musikalischen Hintergrunds möglich und sollte die Landschaft der elektronischen Musik unwiderruflich verändern. 


Krieg und Frieden auf der Tanzfläche

Die emotionale Tiefe von "Children" ist kein Zufall. Sie speist sich aus zwei kraftvollen, tragischen Inspirationsquellen, die oft fälschlicherweise als widersprüchlich dargestellt werden. In Wahrheit sind sie thematisch untrennbar miteinander verwoben und bilden das narrative Herz des Songs.

In den frühen 1990er Jahren erlebte Italien ein düsteres soziales Phänomen, das in den Medien als "strage del sabato sera" - das "Samstagnacht-Massaker" - bekannt wurde. Jedes Wochenende forderten die Straßen einen hohen Blutzoll. Junge Menschen fuhren nach einer langen Nacht in den Clubs, oft übermüdet und berauscht, mit überhöhter Geschwindigkeit in den Tod. Die Statistiken waren erschütternd: Bis 1996 wurde die Zahl der jungen Verkehrstoten nach Clubnächten auf fast 2.000 geschätzt.

Als DJ, der Abend für Abend vor diesen jungen Leuten stand, fühlte Robert Miles eine direkte und persönliche "Verantwortung" für deren Wohlergehen. Er entwickelte eine Theorie, die über die üblichen Faktoren wie Alkohol oder Drogen hinausging. Miles glaubte, dass die Musik selbst eine Mitschuld trug.

Er argumentierte, dass die aggressive, hypnotische und extrem schnelle Gabber-Musik die Clubgänger in einen aufgedrehten, tranceartigen Adrenalinrausch versetzte. Wenn die Lichter angingen, verließen sie den Club in diesem Zustand, stiegen in ihre Autos und trugen die Aggression und die Geschwindigkeit der Musik auf die Straße.

"Children" war seine musikalische Lösung für dieses reale Problem. Es war als ein funktionales Werkzeug konzipiert. Miles begann, den Track als letztes Stück seines Sets zu spielen. Der Song, mit seinem langsameren Tempo (im Vergleich zu Gabber), seinem beruhigenden Rhythmus und seiner sanften, melodischen Struktur, sollte als "serotoner Ausgleich" dienen. Er sollte den Puls senken, den Adrenalinspiegel reduzieren und eine "sicherere Umgebung" schaffen, indem er die Fahrer mental auf eine ruhige Heimfahrt vorbereitete. Die Absicht war buchstäblich, Leben zu retten.

Parallel zu dieser lokalen Tragödie entwickelte sich eine zweite, globalere Inspiration. Roberto Concinas Vater war als Militärangehöriger in den frühen 90er Jahren auf einer humanitären Mission im ehemaligen Jugoslawien stationiert, das von brutalen Kriegen zerrissen wurde.

Als sein Vater zurückkehrte, brachte er nicht nur Geschichten, sondern auch Fotos von seiner Mission mit. Diese Bilder zeigten die unschuldigsten Opfer des Konflikts: Kinder, die im Krieg verstümmelt, getötet oder zu Waisen geworden waren. Concina war von diesen Bildern tief bewegt und erschüttert. Die melancholische, schützende und zutiefst traurige DNA des Tracks soll direkt von dieser Erfahrung inspiriert worden sein.

Der Titel "Children" ist die direkteste Verbindung zu dieser Geschichte - eine Hommage an die im Konflikt verlorene Unschuld.


Eine Hymne für verlorene Unschuld

Im Laufe der Jahre wurde die Authentizität der Kriegsgeschichte manchmal in Frage gestellt, wobei einige Kritiker sie als nachträgliche PR-Erzählung abtaten, um dem Song mehr Tiefe zu verleihen. Miles selbst jedoch erzählte beide Geschichten in verschiedenen Interviews, was bei vielen zu Verwirrung führte.

Ein tieferes Verständnis offenbart jedoch, dass die beiden Geschichten keinen Widerspruch darstellen, sondern eine thematische Verschmelzung sind. Sie repräsentieren dasselbe Kernkonzept: den Schutz unschuldiger "Kinder".

Die "Kinder" waren für Robert Miles sowohl die buchstäblichen Opfer in den Kriegsfotografien als auch die metaphorischen "Kinder" Italiens - die jungen, verletzlichen Clubgänger, die bei den "strage del sabato sera" ums Leben kamen. Beide Gruppen waren Opfer sinnloser Tragödien, die einen das Leben durch Krieg, die anderen durch rücksichtslosen Hedonismus verloren.

Der Song "Children" ist Miles' künstlerische Antwort auf den sinnlosen Tod der Jugend, unabhängig von der Ursache. Der Titel ist der Klebstoff, der die lokale Tragödie der Tanzfläche mit der globalen Tragödie des Krieges verbindet. Der Track wurde so zu einer universellen Hymne für verlorene Unschuld und zu einem musikalischen Plädoyer für Schutz und Verantwortung.


Dream House

"Children" war nicht einfach nur ein Hit; es war ein klanglicher Urknall. Der Song definierte fast im Alleingang ein neues Subgenre der elektronischen Musik: "Dream House" oder "Dream Trance". Seine einzigartige Klangarchitektur, die Trost und Euphorie perfekt ausbalancierte, unterschied ihn von allem anderen auf dem Markt.


Musikalische Tiefenanalyse

Die Anatomie des Tracks offenbart eine meisterhafte Schichtung von Kontrasten:

  1. Das Riff: Das Herzstück ist das ikonische Klavier-Riff. Seine emotionale Kraft liegt in seiner fast "kindlichen" Einfachheit. Es ist eine Melodie, die sofort ins Ohr geht, leicht nachsingbar ist und eine bittersüße Dualität von Melancholie und Hoffnung vermittelt. Sie wiederholt sich hypnotisch, aber im Gegensatz zu den aggressiven Techno-Loops der Zeit bietet sie Trost statt Anspannung.

  2. Die Atmosphäre: Um das Klavier herum webt Miles einen dichten Teppich aus "atmosphärischen Streichern" (Pads) und weitläufigen Hall-Effekten. Diese Elemente schaffen den "traumhaften" (Dream) Zustand, der dem Genre seinen Namen gab. Sie erzeugen ein Gefühl von Weite und Schwerelosigkeit.

  3. Der Groove: Unter dieser sanften Oberfläche liegt ein treibender, aber dennoch zurückhaltender 4/4-Beat. Dieser Rhythmus, der auf den Fundamenten der klassischen Drumcomputer Roland TR-808 und TR-909 aufbaut, gab dem Track seine Clubtauglichkeit und verankerte die "traumhafte" Atmosphäre auf der Tanzfläche.


Technologie als Ermöglicher 

Dieser spezifische Sound war ein Produkt der Technologie der frühen 90er Jahre. Die atmosphärischen, warmen Flächenklänge stammten wahrscheinlich von analogen oder virtuell-analogen Synthesizern wie dem Roland Juno-60, der für seine üppigen Streicher-Pads berühmt ist. Der ikonische, klare und leicht perkussive Klavierklang hingegen stammte höchstwahrscheinlich von einer digitalen Workstation der Ära, wie der Korg 01/W, die in der Lage war, "realistische" Instrumente mit digitaler Präzision zu liefern. Die Kombination aus analoger Wärme und digitaler Klarheit war entscheidend für den Sound von "Children". 


Die strategische Brillanz: Dream vs. Progressive

Ein entscheidender, aber oft übersehener Faktor für den Erfolg des Songs war die brillante Veröffentlichungsstrategie, die zwei unterschiedliche Versionen in den Vordergrund stellte. Die 12-Zoll-Vinyl-Veröffentlichung, die an DJs ging, enthielt typischerweise den "Dream Mix" und den "Progressive Mix". Diese beiden Mixe waren keine bloßen Variationen; sie waren strategische Werkzeuge:

  • Der Progressive Mix: Dieser Mix war das "trojanische Pferd" für die Clubs. Er war "treibender" und "Synth-lastiger". Er dämpfte das Klavier leicht und betonte die rhythmischen und synthetischen Elemente. Dieser Mix war nah genug am etablierten Progressive-House-Sound, den DJs wie Sasha und John Digweed populär machten, um von einflussreichen Gatekeepern in den Clubs gespielt zu werden. Er war die Tarnung des Songs.

  • Der Dream Mix: Dies war die "Seele" des Tracks. Er war "minimalistischer" und "Klavier-geführter". In dieser Version stand das ikonische Riff im absoluten Mittelpunkt, getragen von den atmosphärischen Streichern. Dies war die Version, die die emotionale Verbindung herstellte, von den Radiosendern aufgegriffen wurde und den Crossover-Hit für die breite Masse darstellte.

Die Strategie war genial. Der Progressive Mix neutralisierte die elitären Club-DJs und verschaffte dem Song Zugang zur Tanzfläche. Sobald er dort war, konnte der Dream Mix die Herzen der Massen erobern und eine globale Hymne werden. Ohne den Progressive Mix wäre "Children" vielleicht als "zu sanft" für die Clubs abgetan worden; ohne den Dream Mix wäre er ein vergänglicher Club-Track ohne das Zeug zum Welthit geblieben. 


Vom Piratenradio zur globalen Dominanz

Die Ironie des kometenhaften Aufstiegs von "Children" liegt in seiner anfänglichen Ablehnung. Als Robert Miles das Demo etablierten Plattenlabels vorstellte, stieß er auf Unverständnis. Der Track passte in keine Schublade. Er wurde als "zu anders" und, was am ironischsten ist, als "nicht clubtauglich" abgetan. Die Industrie-Gatekeeper, die an die aggressiven Rhythmen von Techno und Gabber gewöhnt waren, konnten das Potenzial einer solch melodiegetriebenen Nummer nicht erkennen.

Unbeirrt veröffentlichte Miles den Track 1995 in Italien auf dem Plattenlabel DBX Records, das von dem einflussreichen DJ Joe T. Vannelli geleitet wurde. Von dort aus begann der Song einen organischen, unaufhaltsamen Siegeszug.

Sein Aufstieg erfolgte nicht durch ein großes Marketingbudget, sondern durch ein Graswurzel-Netzwerk. Zuerst waren es die DJs in Italien, die Miles' Vision teilten und den Track spielten. Dann, und das war entscheidend, wurde der "Dream Mix" von Piratensendern in ganz Europa entdeckt. Diese Sender, die frei von kommerziellen Playlist-Zwängen agierten, verliebten sich in den einzigartigen, atmosphärischen Sound und spielten ihn in Dauerschleife.

Innerhalb weniger Monate wurde aus dem Geheimtipp eine unüberhörbare Bewegung. Die Nachfrage explodierte. Große Plattenfirmen, die den Track zuvor abgelehnt hatten, rissen sich nun um die Lizenzrechte. Deconstruction Records sicherte sich den Vertrieb in Großbritannien, und von da an gab es kein Halten mehr.

"Children" wurde zu einem echten pan-europäischen Phänomen. Die Chart-Daten belegen eine kulturelle Resonanz, die Grenzen und Sprachbarrieren mühelos überwand. Der Song erreichte Platz 1 in unglaublichen 12 Ländern.

Die Reaktionen in den beiden wichtigsten europäischen Märkten waren jedoch besonders bemerkenswert und aufschlussreich:

  • Vereinigtes Königreich: In Großbritannien wurde der Song zu einem massiven kommerziellen Hit. Er stieg auf Platz 2 der UK-Charts ein und hielt sich dort für 13 aufeinanderfolgende Wochen - eine außergewöhnliche, wenn auch frustrierende Leistung. Er wurde zu einem der meistverkauften Songs des Jahres und verkaufte über 1,2 Millionen Exemplare. Der Erfolg war schnell, massiv und verkaufsgetrieben.

  • Deutschland: In Deutschland war das Phänomen noch tiefgreifender. "Children" erreichte ebenfalls Platz 1 der Charts und verkaufte über 750.000 Einheiten, was ihm Platin-Status einbrachte. Die eigentliche Geschichte liegt jedoch in seiner Langlebigkeit. Der Track hielt sich unglaubliche 1,5 Jahre - 78 Wochen - in den deutschen Charts.

Diese Diskrepanz ist signifikant. Während Großbritannien den Song als massiven Hit konsumierte, assimilierte der deutsche Markt den Sound. Diese außergewöhnliche Langlebigkeit bewies eine tiefere kulturelle Resonanz. Der deutsche Markt hat den Song nicht nur gekauft; er hat ihn zur Grundlage einer neuen musikalischen Subkultur gemacht. Dieser Erfolg von "Children" in Deutschland legte den Grundstein für eine ganze Industrie, die sich auf den "Dream House"-Sound stürzte, was sich am deutlichsten in der Schaffung der äußerst erfolgreichen Dream Dance-Compiler-Serie manifestieren sollte.


Kommerzielle Auswirkung (1995-1997)

Die in Sektion V dargelegte narrative Erfolgsgeschichte lässt sich durch die harten Daten der Charts und Verkaufszahlen untermauern. Die folgende Tabelle konsolidiert die verfügbaren Informationen und veranschaulicht das Ausmaß der globalen Dominanz von "Children". Die Daten zeigen einen Track, der nicht nur in einem Markt, sondern auf einem ganzen Kontinent und darüber hinaus Anklang fand.

Land Chart-Position Verkäufe Anmerkungen
Deutschland 1 Platin (750.000+ Verkäufe) Hielt sich 1,5 Jahre (78 Wochen) in den deutschen Charts.
Vereinigtes Königreich 2 2x Platin (1.200.000+ Verkäufe) Verbrachte 13 aufeinanderfolgende Wochen auf Platz 2.
Frankreich 1 Diamant Führte die Charts für 11 Wochen an.
Schweiz 1 Platin Führte die Charts für 13 Wochen an.
Europa (Gesamt) 1 (Eurochart Hot 100) --- Platz 1 in insgesamt 12 Ländern, darunter Italien, Spanien, Schweden, Norwegen, Finnland und Belgien.
Vereinigte Staaten 21 (Billboard Hot 100) Gold Erreichte Platz 1 der Billboard Hot Dance Club Play Charts, was seine Dominanz in den Clubs bestätigte.


Die Welt nach "Children"

Der Einfluss von "Children" auf die globale Musiklandschaft kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sein Erbe ist jedoch zweigeteilt: Es schuf eine immens profitable kommerzielle Industrie und inspirierte gleichzeitig eine künstlerische Bewegung. Das tragische Paradoxon ist, dass der Schöpfer des Songs, Robert Miles, von der Industrie, die er geschaffen hatte, abgestoßen wurde und künstlerische Zuflucht in anspruchsvolleren Bereichen suchte. 


Die Kommerzialisierung eines Traums

Fast über Nacht wurde "Children" von einem Song zu einer Formel. Eine Flut von Nachahmern überschwemmte den Markt, die alle versuchten, die magische Kombination aus melancholischem Klavier, ätherischen Streichern und einem sanften Beat zu replizieren. Künstler wie DJ Dado ("X-Files"), Zhi-Vago ("Celebrate (The Love)") und unzählige andere produzierten Tracks, die den "Dream House"-Sound kommerzialisierten.

Nirgendwo war diese "Formelhaftigkeit" erfolgreicher als in Deutschland. Aufbauend auf der phänomenalen Langlebigkeit des Songs wurde die Compilation-Serie Dream Dance ins Leben gerufen. Diese Serie, die im Wesentlichen den Sound von "Children" industrialisierte, wurde zu einer der erfolgreichsten und langlebigsten Compilation-Marken Europas und verkaufte Millionen von Alben. "Children" war nicht nur der Namensgeber, sondern auch der klangliche Prototyp für eine ganze Generation von kommerzieller Dancemusik.


Der Wegbereiter für Trance
 

Während die Industrie die Oberfläche kopierte, verstanden andere Künstler die tiefere Lektion von "Children": Melodie und Emotion hatten einen festen Platz im Mainstream-Dance. Der Song riss die Tore für melodischen, emotionalen Trance weit auf.

Sein Einfluss auf die nächste Generation von globalen Superstar-DJs ist unbestritten. Produzenten wie Tiësto und Armin van Buuren, die Trance in den 2000er Jahren in die Stadien bringen sollten, bauten auf dem Fundament auf, das Miles gelegt hatte. "Children" bewies, dass ein Dance-Track introspektiv, melancholisch und dennoch euphorisch sein konnte - eine Blaupause für den "Uplifting Trance"-Sound. 


Die Flucht vor dem Erbe

Für Roberto Concina wurde sein größter Triumph schnell zu einem goldenen Käfig. Er war der unbeabsichtigte Vater einer Bewegung, der die Verantwortung für seine vielen "Kinder" (die Nachahmer) ablehnte. Er sah mit wachsendem Unbehagen, wie seine komplexe, aus Tragödien geborene Schöpfung zu einer seichten Marketingformel verkam.

Seine gesamte nachfolgende Karriere kann als Versuch interpretiert werden, dem Schatten von "Children" zu entkommen. Er weigerte sich, die Formel zu wiederholen. Seine späteren Alben, insbesondere das von der Kritik gelobte Organik (2001), waren eine bewusste und radikale Abkehr. Organik war ein anspruchsvolles, experimentelles Album, das Ambient, Trip-Hop und Weltmusik-Einflüsse erkundete - klanglich so weit von "Dream House" entfernt wie nur möglich. Miles versuchte verzweifelt, als Musiker und Komponist gesehen zu werden, nicht als der "Dream House"-Produzent.

Am 9. Mai 2017 starb Roberto Concina im Alter von nur 47 Jahren auf Ibiza an einem metastasierten Krebsleiden. Die Nachricht von seinem frühen Tod schockierte die Musikwelt und warf ein neues, tragisches Licht auf die melancholische Melodie, die ihn unsterblich gemacht hatte.


Fazit: Ein zeitloses Wiegenlied

"Children" ist weit mehr als ein nostalgischer Hit aus den 90er Jahren. Es ist ein tiefgründiges kulturelles Dokument, ein seltenes Artefakt, das an der Schnittstelle von Kunst, sozialer Verantwortung und globalem Bewusstsein entstanden ist.

Es ist ein Zeugnis für eine Zeit, in der ein einzelner DJ die Tragödien seiner unmittelbaren Umgebung - die "strage del sabato sera" - und die Tragödien der Weltbühne - die Kriege in Jugoslawien - in sich aufnahm und sie in ein musikalisches Heilmittel verwandelte. Es war ein Akt der klanglichen Alchemie, ermöglicht durch die innovative Nutzung der damals verfügbaren Technologie und fundiert durch eine klassische musikalische Ausbildung.

Der Song überlebt, weil er im Kern eine "Anti-Hymne" ist. Er wurde nicht geschrieben, um die Hände in die Luft zu reißen, obwohl er genau das bewirkte. Er wurde geschrieben, um einen Puls zu verlangsamen, um eine "sicherere Umgebung" zu schaffen, um metaphorisch und potenziell buchstäblich ein Leben zu retten.

"Children" war ein funktionales Objekt, das unbeabsichtigt zu einem globalen Kunstwerk wurde. Es ist kein Relikt einer vergangenen Ära, sondern ein zeitloses Wiegenlied. Seine einfache, "kindliche" Melodie trägt mühelos die ganze Komplexität von Krieg, Tod und der Verantwortung, die wir füreinander tragen. Sein Echo, das vor fast drei Jahrzehnten als Antwort auf eine Tragödie konzipiert wurde, überdauert nun auf tragische Weise seinen eigenen Schöpfer und erinnert uns weiterhin an die verlorene Unschuld, die er zu schützen versuchte.

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Über den Autor
S. Wernke-Schmiesing

Während meines Studiums gründeten wir 2008 die Dance-Charts. Als reine Musik-Promotion-Agentur gestartet, entwickelte sich die Plattform zu einem der größten Blogs und News-Portale für Dance-Musik in Deutschland. Als Chefredakteur heißt es täglich News recherchieren und Entscheidungen treffen. Neben der Tätigkeit für die Agentur bin ich regelmäßig als DJ in Clubs und Großraumdiskotheken unterwegs.

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