Die 20 erfolgreichsten Songs der 2000er Jahre
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Die 20 erfolgreichsten Songs der 2000er Jahre

(Geschätzte Lesezeit: 10 - 20 Minuten)

Die erfolgreichsten Songs der 2000er JahreDie erfolgreichsten Songs der 2000er Jahre

Die 2000er Jahre stellen in der Musikgeschichte eine singuläre Übergangsphase dar, deren Auswirkungen bis in die heutige Streaming-Ökonomie spürbar sind. Wir betraten das Jahrzehnt mit dem physischen Tonträger als dominantes Medium - die CD war König, der Discman ein Statussymbol - und verließen es in einer Welt, die von iTunes, illegalen Downloads und den ersten Anzeichen des Streaming-Zeitalters geprägt war. Musikalisch war diese Dekade von einer extremen Fragmentierung gekennzeichnet: Der Aufstieg des Euro-Pop, die Renaissance des Schlagers in Deutschland, die Globalisierung von R&B und Hip-Hop sowie die Geburt viraler Internet-Phänomene, lange bevor der Begriff "viral" zum täglichen Sprachgebrauch gehörte.


Momente der 2000er

Dieser Bericht analysiert nicht nur die nackten Zahlen der deutschen und internationalen Charts, sondern dekonstruiert die soziokulturellen Mechanismen hinter zwanzig Songs, die dieses Jahrzehnt definierten. Basierend auf einer umfangreichen Datensammlung von Chartplatzierungen, Produktionshintergründen und biografischen Details der Künstler wird aufgezeigt, wie diese Titel nicht nur kommerzielle Erfolge waren, sondern Zeitgeist-Kapseln, die spezifische Momente der 2000er konservierten. Von der Unschuld der Casting-Shows bis zur kalkulierten Provokation des modernen Pop - dies ist die definitive Chronik des Sounds der Nullerjahre.


1. DJ Ötzi & Nik P. - "Ein Stern (...der deinen Namen trägt)" (2007)

In der Analyse der deutschen Chartgeschichte stellt "Ein Stern" eine statistische Singularität dar. Während die Popkultur der 2000er zunehmend anglo-amerikanisch dominiert wurde, gelang Gerhard "Gerry" Friedle, besser bekannt als DJ Ötzi, in Kooperation mit Nik P. ein Coup, der alle Gesetzmäßigkeiten des Musikmarktes außer Kraft setzte. Der Song ist mit über zwei Millionen verkauften Einheiten und 106 Wochen Chartpräsenz die erfolgreichste Single des Jahrzehnts in Deutschland.

Die Genese des Songs offenbart die Langlebigkeit guter Kompositionen. Nik P. hatte das Lied bereits Jahre vor der Veröffentlichung mit DJ Ötzi geschrieben und als Solokünstler herausgebracht. Es dümpelte jedoch unter dem Radar des Mainstreams, bis DJ Ötzi, der zuvor mit "Anton aus Tirol" und "Hey Baby" bereits massive Erfolge feierte, das Potenzial erkannte.

Der Weg an die Spitze war jedoch keineswegs vorgezeichnet. In der Anfangsphase der Promotion stieß das Duo auf erheblichen Widerstand seitens der etablierten Radiosender. Die Programmchefs weigerten sich kategorisch, den Titel in die Rotation aufzunehmen, da das Genre "Schlager-Pop" nicht in die coolen, jugendorientierten Formate der späten 2000er zu passen schien. Der Song galt als zu volkstümlich, zu sehr "Après-Ski".

Der Erfolg von "Ein Stern" muss als Triumph der Basisdemokratie des Publikums über die Gatekeeper der Medienindustrie verstanden werden. Der Song verbreitete sich viral über physische Begegnungsstätten - Skihütten, Dorfdiskotheken, Schützenfeste -, bevor er den Äther eroberte. Musikalisch verbindet der Song die emotionale Sehnsucht des klassischen Schlagers mit einem tanzbaren Discofox-Beat, der generationenübergreifend funktionierte. Er wurde zum Soundtrack für Hochzeiten und Scheidungspartys gleichermaßen.

Interessant ist hierbei auch die Biografie von DJ Ötzi selbst, die dem Song eine unerwartete Tiefe verleiht. Aufgewachsen bei Pflegeeltern und Großeltern, zeitweise obdachlos und an Epilepsie leidend, verkörpert Friedle das Narrativ des Kämpfers, der sich gegen alle Widerstände durchsetzt. Diese Authentizität schwingt in der Performance mit und verleiht dem an sich simplen Text eine Glaubwürdigkeit, die dem Publikum Resonanzflächen bot.


2. Lady Gaga - "Poker Face" (2008)

Gegen Ende der Dekade erschien mit Stefani Germanotta alias Lady Gaga eine Künstlerin, die verstand, dass Popmusik im 21. Jahrhundert zu gleichen Teilen aus Audio und Visuellem besteht. "Poker Face", veröffentlicht 2008 auf dem Album The Fame, war der Katalysator, der Gaga von einem One-Hit-Wonder ("Just Dance") in eine kulturelle Ikone verwandelte. Der Song dominierte die Charts weltweit und wurde 2015 in den USA mit der Diamant-Schallplatte ausgezeichnet.

Musikalisch ist "Poker Face" ein Meisterwerk des düsteren Electro-Pop, produziert von RedOne. Der Song nutzt harte Synthesizer-Saws und einen stampfenden Beat (119 BPM), der aggressiver war als der typische Radio-Pop jener Zeit. Ein faszinierendes musikarchäologisches Detail ist die Hookline "Mum-mum-mum-mah". Diese ist eine direkte, bewusste Referenz an den Boney M. Hit "Ma Baker" aus dem Jahr 1977. Gaga verwebt hier europäische Disco-Geschichte mit modernem amerikanischen Dance-Pop.

Auf der textlichen Ebene operiert "Poker Face" mit einer brillanten Doppeldeutigkeit. Oberflächlich betrachtet bedient der Song das Motiv des Glücksspiels als Metapher für romantische Beziehungen. Doch Lady Gaga enthüllte später die tiefere, autobiografische Ebene: Der Song thematisiert ihre Bisexualität. Das "Poker Face" dient dazu, ihre Fantasien über Frauen zu verbergen, während sie physisch mit einem Mann intim ist.

Noch subversiver ist ein Detail im Refrain, das jahrelang von Radiostationen unbemerkt blieb. In der repetitiven Zeile "P-p-p-poker face" artikuliert Gaga das "P" so, dass es phonetisch wie "F**k her face" klingt. Während einige Quellen dies als Mythos abtaten, bestätigte Gaga diese lyrische Guerilla-Taktik später und amüsierte sich darüber, dass eine derart explizite Zeile weltweit im Radio lief, ohne zensiert zu werden. Dies unterstreicht ihre Strategie, Mainstream-Pop mit avantgardistischen und provokanten Inhalten zu unterwandern.


3. O-Zone - "Dragostea din tei" (2003/2004)

Im Jahr 2004 bewies eine moldauische Boygroup, dass Sprache in der Popmusik sekundär ist, solange die Melodie universell ist. "Dragostea din tei" (übersetzt: "Liebe aus dem Lindenbaum") von O-Zone wurde zu einem der unwahrscheinlichsten Welthits der Dekade. Der Song führte 12 Wochen lang die Eurochart Hot 100 an und dominierte die deutschen Charts für 14 Wochen.

Die kulturhistorische Bedeutung dieses Songs liegt jedoch weniger in seiner Chartplatzierung als in seiner Rolle als Katalysator für die moderne Internetkultur. "Dragostea din tei" ist untrennbar mit dem "Numa Numa Dance"-Video von Gary Brolsma verbunden. Brolsmas Webcam-Video, in dem er enthusiastisch zum Song lippensynchron singt, gilt als eines der ersten wirklich viralen Videos der Geschichte (Pre-YouTube, verbreitet über Newgrounds). Es demonstrierte erstmals die Macht von User-Generated Content, die Lebensdauer und den kommerziellen Erfolg eines Songs massiv zu verlängern.

Musikalisch ist der Song ein Archetyp des Eurodance: Hohes Tempo, Synthesizer-Riffs und ein Refrain ("Ma-ia-hii, Ma-ia-huu"), der eher als Instrument denn als Text fungiert. Dan Bălan, der Frontmann von O-Zone, erklärte, der Song sei bewusst als Gegenentwurf zum damals vorherrschenden, eher melancholischen R&B konzipiert worden, um pure, ungefilterte Freude zu vermitteln. Lyrisch interpretierte Bălan den Text als sexuelle Begegnung unter Bäumen, während Kritiker oft rätselten, ob es sich um ein Telefongespräch handelt - eine Ambivalenz, die dem mysteriösen Charme des Songs nur zuträglich war.

 


4. Las Ketchup - "The Ketchup Song (Aserejé)" (2002)

Der Sommer 2002 wurde global von vier Schwestern aus Cordoba dominiert. Las Ketchup, benannt nach ihrem Vater, dem Flamenco-Gitarristen "El Tomate", lieferten mit "The Ketchup Song (Aserejé)" ein Lehrstück über die Globalisierung von lokalen Musikstilen. Der Song verkaufte sich über sieben Millionen Mal und erreichte Platz 1 in über 20 Ländern.

Jahrelang galt der Refrain "Aserejé, ja deje tejebe..." als unverständliches Kauderwelsch, was zu absurden Verschwörungstheorien führte, bis hin zu Vorwürfen des Satanismus durch evangelikale Gruppen, die glaubten, rückwärts abgespielt enthalte der Song dämonische Botschaften.

Die Realität ist jedoch ein humoristischer Meta-Kommentar zur Sprachbarriere. Der Songtext erzählt die Geschichte eines Protagonisten namens Diego, der vermutlich unter dem Einfluss von Substanzen ("con la luna en las pupilas") eine Diskothek betritt. Der DJ spielt Diegos Lieblingslied: "Rapper's Delight" von der Sugarhill Gang. Da Diego jedoch kein Englisch spricht, singt er den englischen Text ("I said a hip hop the hippie...") phonetisch auf Spanisch nach. Aus "I said a hip" wird "Aserejé", aus "the hippie" wird "ja deje". Der Refrain ist also kein Spanisch, sondern "Spanglish-Gibberish" - eine phonetische Transkription eines amerikanischen Rap-Songs durch einen spanischen Muttersprachler.

 


5. Shakira feat. Wyclef Jean - "Hips Don't Lie" (2006)

Mitte der 2000er Jahre befand sich Shakira bereits im Olymp des Latin-Pop, doch "Hips Don't Lie" katapultierte sie in eine Sphäre globaler Ubiquität. Der Song erreichte Platz 1 in 55 Ländern und wurde zur meistverkauften Single des Jahres 2006 weltweit. Die Kollaboration mit Fugees-Legende Wyclef Jean war ein strategischer Geniestreich, der Reggaeton, Salsa, Cumbia und Hip-Hop fusionierte.

Die Entstehungsgeschichte des Songs ist geprägt von kreativem Recycling und last-minute Entscheidungen. Der Song basiert instrumental fast vollständig auf Wyclef Jeans früherem Track "Dance Like This" (vom Soundtrack zu Dirty Dancing: Havana Nights), der wiederum ein Sample von Jerry Riveras "Amores Como el Nuestro" verwendet - insbesondere die markanten Trompetenfanfaren zu Beginn.

Interessanterweise existierte der Song zunächst gar nicht auf der ursprünglichen Pressung von Shakiras Album Oral Fixation Vol. 2. Shakira musste ihre Plattenfirma Sony BMG aktiv überzeugen, das Album zurückzuziehen und als Re-Release mit dem neuen Song neu aufzulegen - ein teures und riskantes Manöver, das sich jedoch als eine der profitabelsten Entscheidungen ihrer Karriere erwies. Ein frühes Konzept des Titels lautete "Lips Don't Lie", doch Shakira änderte dies, um ihre charakteristischen Tanzbewegungen in den Fokus zu rücken, was dem Song seinen ikonischen Titel gab.

 


6. Timbaland feat. OneRepublic - "Apologize" (2007)

"Apologize" ist das ultimative Beispiel für die Macht des Produzenten im 21. Jahrhundert. Ursprünglich war der Song eine Klavierballade der Band OneRepublic, die auf MySpace moderate Aufmerksamkeit erregte, aber keinen kommerziellen Durchbruch erzielte. Es war Timbaland, der damalige König des R&B-Produktionssounds, der das Potenzial erkannte.

Timbaland remixte den Song für sein Album Shock Value, fügte seine signaturhaften Percussions und Vocal-Samples ("Eh-Eh") hinzu und veränderte die Dynamik des Tracks grundlegend. Der Remix wurde zu einem der größten Radiohits der Dekade. Bemerkenswert ist die geschäftliche Seite dieses Erfolgs: Timbaland bestand darauf, dass Ryan Tedder, der Sänger und Autor, 100% der Verlagsrechte (Publishing) behielt. Sein Manager argumentierte: "Er versucht nicht, dir das Essen vom Tisch zu nehmen. Er hat den Remix produziert, du hast den Song geschrieben." Diese Entscheidung ermöglichte Tedder finanzielle Unabhängigkeit und legte den Grundstein für seine spätere Karriere als einer der erfolgreichsten Songwriter für Künstler wie Adele und Beyoncé.

 


7. Rihanna - "Umbrella" (2007)

Im Sommer 2007 war es in Großbritannien unmöglich, dem Radio zu entkommen, ohne "Umbrella" zu hören. Der Song stand zehn Wochen lang an der Spitze der UK-Charts. Kurioserweise fiel dieser Zeitraum mit einem der verregnetsten Sommer der britischen Geschichte zusammen, was in den Medien ironisch als "Rihanna Curse" bezeichnet wurde.

"Umbrella" ist ein klassisches Beispiel für die Austauschbarkeit von Material in der Top-Tier-Popindustrie. Geschrieben von The-Dream und Tricky Stewart, wurde der Song ursprünglich Britney Spears für ihr Comeback-Album angeboten. Ihr Management lehnte jedoch ab, da sie angeblich genügend Material hatte. Auch Mary J. Blige passte. Rihanna hingegen erkannte sofort die aggressive Eingängigkeit des "Ella-ella-eh-eh"-Hooks. Sie soll den Produzenten gesagt haben: "Ich werde euch bekämpfen, wenn ich diesen Song nicht bekomme".

Der Song markierte Rihannas Transformation vom "Insel-Mädchen" (Music of the Sun) zur globalen Stilikone mit Ecken und Kanten (Good Girl Gone Bad). Das Intro von Jay-Z verlieh dem Track zusätzliche Street-Credibility und zementierte ihren Status im Roc-Nation-Imperium.

 


8. No Angels - "Daylight in Your Eyes" (2001)

Das Jahr 2001 markierte in Deutschland den Beginn einer neuen Ära der Musikvermarktung. Die Sendung Popstars auf RTL II war das erste große Format, das die Formierung einer Band dokumentierte. Das Resultat waren die No Angels, die mit "Daylight in Your Eyes" einen Start-Ziel-Sieg hinlegten. Der Song wurde zur meistverkauften Single des Jahres 2001 in Deutschland und etablierte das Modell "TV-Show als Promotion-Vehikel".

Musikalisch ist der Song ein makelloser Pop-Track amerikanischer Machart. Tatsächlich wurde exakt dasselbe Instrumental und Arrangement parallel in den USA für eine dortige Casting-Band namens Victoria verwendet. Während die US-Version floppte, verliehen die Stimmen von Nadja, Sandy, Lucy, Vanessa und Jessica der deutschen Version eine Energie, die den Song über den Status eines bloßen Lizenzprodukts hievte. Das Video - fünf junge Frauen in einem hellen Raum, simple Outfits, Fokus auf Performance - setzte ästhetische Standards für Girlgroups der frühen 2000er in Europa.

 


9. Schnappi - "Schnappi, das kleine Krokodil" (2005)

"Schnappi" ist der ultimative Beweis dafür, dass in den 2000ern die traditionellen Gatekeeper der Musikindustrie ihre Macht verloren. Gesungen von der damals etwa fünfjährigen Joy Gruttmann, war das Lied ursprünglich nur ein kurzes Intermezzo in der Sendung mit der Maus. Jahre später entdeckte die Internet-Community den Track. Er verbreitete sich als MP3 in Foren und per E-Mail, lange bevor soziale Medien existierten.

Der Hype zwang die Plattenfirma Polydor schließlich zu einer offiziellen Veröffentlichung. Der Song schoss im Januar 2005 auf Platz 1 der deutschen Charts und blockierte dort wochenlang internationale Superstars wie Linkin Park oder Eminem. Die kulturelle Dissonanz eines Kinderliedes an der Spitze der Charts, begleitet von Techno-Remixen und Klingelton-Werbung, steht symptomatisch für die "Jamba-Sparabo"-Ära, in der der Klingelton-Markt zeitweise lukrativer war als der Single-Verkauf.

 


10. Tokio Hotel - "Durch den Monsun" (2005)

Im August 2005 veränderte sich die deutsche Jugendkultur schlagartig. Mit "Durch den Monsun" debütierte Tokio Hotel, eine Band um die Zwillinge Bill und Tom Kaulitz, die eine Polarisierung hervorrief, wie man sie seit den Boygroups der 90er nicht mehr gesehen hatte. Der Song selbst war eine Mischung aus Pop-Rock und emotionaler Lyrik, die das Lebensgefühl der "Generation Emo" perfekt einfing.

Was Tokio Hotel von anderen deutschen Acts unterscheidet, ist ihr nachhaltiger internationaler Erfolg. Sie waren einer der wenigen deutschsprachigen Acts, die echte Hysterie in Frankreich, Israel, Südamerika und später sogar in den USA auslösten. "Durch den Monsun" wurde als englische Version "Monsoon" 2007 erneut zum Hit und öffnete der Band Türen, die für deutsche Künstler meist verschlossen blieben. Der Song ist mehr als nur Musik; er ist das Symbol einer Subkultur, definiert durch Bill Kaulitz' androgynen Look, der Geschlechtergrenzen visuell auflöste und damit seiner Zeit weit voraus war.

 


11. Xavier Naidoo - "Dieser Weg" (2005/2006)

Das Jahr 2006 ist im kollektiven Gedächtnis Deutschlands als das Jahr der Fußball-Weltmeisterschaft, des "Sommermärchens", verankert. Während es offizielle Hymnen gab, war es Xavier Naidoos "Dieser Weg", der die emotionale Last und die Euphorie der Nation trug.

Der Song profitierte massiv von der Berichterstattung, dass die deutsche Nationalmannschaft ihn in der Kabine zur Motivation hörte. Diese Anekdote reichte aus, um den bereits 2005 veröffentlichten Song erneut die Charts erklimmen zu lassen. Die Zeile "Dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer" resonierte mit einer Gesellschaft, die sich im Umbruch befand und im sportlichen Erfolg eine neue Identität suchte.27 Ungeachtet späterer politischer Kontroversen um den Künstler bleibt dieser Song ein unverrückbares Dokument der deutschen Stimmungslage Mitte der 2000er.

 


12. Herbert Grönemeyer feat. Amadou & Mariam - "Zeit, dass sich was dreht" (2006)

Während Naidoo die Kabine beschallte, lieferte Herbert Grönemeyer mit "Zeit, dass sich was dreht" die Stadion-Hymne. Der Song erreichte im Sommer 2006 Platz 1 der deutschen Charts. Durch die Zusammenarbeit mit dem blinden Paar Amadou & Mariam aus Mali integrierte Grönemeyer afrikanische Rhythmen und Sprachen (Bambara) in den deutschen Pop-Mainstream, was den weltoffenen Charakter der WM 2006 unterstrich.

Die Langlebigkeit des Songs zeigt sich in seiner anhaltenden politischen Nutzung. Noch im Jahr 2024 wurde der Song bei Veranstaltungen der CDU für Friedrich Merz genutzt, was zu urheberrechtlichen Auseinandersetzungen führte, da Grönemeyer die politische Vereinnahmung untersagte. Dies belegt, dass der Song längst vom reinen Fußball-Kontext in das kulturelle Allgemeingut übergegangen ist.

 


13. Bob Sinclar - "Love Generation" (2005/2006)

Die WM 2006 war ein Katalysator für Hits. Bob Sinclar, ein französischer House-DJ, lieferte mit "Love Generation" den wohl unbeschwertesten Song des Jahrzehnts. Der Track ist untrennbar mit dem WM-Maskottchen Goleo VI verbunden, das im Video um die Welt reiste.

Musikalisch markiert der Song den Punkt, an dem House-Musik ihre Club-Wurzeln verließ und massentauglicher Pop wurde. Sinclar nutzte Samples und Vocals von Gary Pine, einem ehemaligen Mitglied der Wailers (Bob Marleys Band), um dem elektronischen Beat eine warme, organische Reggae-Note zu verleihen. Das gepfiffene Intro ist einer der effektivsten Ohrwürmer der Dekade. In Deutschland war der Song extrem erfolgreich und wurde zur meistverkauften Single des Jahres 2006, noch vor den Titeln von Grönemeyer oder Naidoo.

 


14. Leona Lewis - "Bleeding Love" (2007)

Leona Lewis, Gewinnerin der britischen Show The X Factor, gelang mit "Bleeding Love" etwas, woran viele europäische Casting-Stars scheiterten: der Durchbruch in den USA. Der Song war 2008 die weltweit meistverkaufte Single und erreichte in 35 Ländern Platz 1.

Hinter dem Erfolg stand ein Power-Team der Songwriter: Ryan Tedder (OneRepublic) und Jesse McCartney. Ursprünglich für McCartneys eigenes Album geschrieben, lehnte dessen Label den Song ab, da sie einen "Urban-Pop"-Hit wollten und keine Ballade. Tedder arrangierte den Song um, fügte die markante Orgel hinzu - inspiriert von Prince - und gab ihm jenen marschierenden Beat, der Leonas Stimmvolumen perfekt trug.

 


15. Gnarls Barkley - "Crazy" (2006)

"Crazy" von Gnarls Barkley (Danger Mouse & CeeLo Green) schrieb Musikgeschichte als der erste Song im Vereinigten Königreich, der Platz 1 der Charts erreichte, bevor die physische CD im Laden stand - allein durch Downloads. Dies markierte den endgültigen Sieg der digitalen Distribution über den physischen Tonträger.

Produktionstechnisch ist der Song ein Juwel. Er basiert auf einem Sample des Titels "Last Men Standing" aus dem Spaghetti-Western Django und die Bande der Gehenkten (1968) von Gian Piero Reverberi. Die thematische Tiefe - ein Dialog über Wahnsinn und künstlerische Integrität - entstand aus einem Gespräch zwischen den beiden Künstlern. Danger Mouse merkte an, dass Künstler nur ernst genommen würden, wenn sie "verrückt" seien. CeeLo Green nahm diesen Gedanken auf und sang die Vocals angeblich in einem einzigen Take ein, was dem Song seine rohe, ungekünstelte Dringlichkeit verleiht.

 


16. Kid Rock - "All Summer Long" (2008)

Kid Rock gelang 2008 mit "All Summer Long" ein massiver Crossover-Hit, der Country, Rock und Hip-Hop-Attitüde verband. Der Song ist ein musikalisches Frankenstein-Monster, das zwei Klassiker verschmilzt: Das Klavier-Riff von Warren Zevons "Werewolves of London" und die Gitarren-Licks von Lynyrd Skynyrds "Sweet Home Alabama".

Ein faszinierendes Detail der Veröffentlichungsgeschichte ist Kid Rocks Haltung zum digitalen Markt. Er weigerte sich damals, seine Songs auf iTunes anzubieten, da er das Album-Format schützen wollte. Dies führte zu einer absurden Situation in den Billboard-Charts: Da das Original digital nicht verfügbar war, kauften Fans massenhaft eine Coverversion von "The Rock Heroes" (einer Karaoke-Produktionsfirma), die zeitweise höher in den digitalen Charts stand als das Original im Radio-Airplay. Kid Rock zwang die Fans quasi zurück in die Plattenläden, was den Song physisch extrem erfolgreich machte, aber digital ein Chaos verursachte.

 


17. Emiliana Torrini - "Jungle Drum" (2009)

Manchmal bedarf es nur einer Minute im Fernsehen, um eine Karriere zu zünden. Emiliana Torrini, eine isländische Singer-Songwriterin, war in der Indie-Szene respektiert (sie schrieb u.a. "Slow" für Kylie Minogue und sang "Gollum's Song" in Der Herr der Ringe), aber kein Mainstream-Star. Das änderte sich schlagartig, als Heidi Klum ihren Song "Jungle Drum" für den "Catwalk"-Lauf im Finale von Germany’s Next Topmodel 2009 auswählte.

Der Song schoss in Deutschland von Null auf Platz 1. Torrini selbst bezeichnete den Song scherzhaft als ihre "Drag Queen Platte", da er so untypisch fröhlich und theatralisch im Vergleich zu ihrem sonstigen Werk war. Der Erfolg von "Jungle Drum" demonstriert die immense Macht, die das lineare Fernsehen in den späten 2000ern noch immer auf den Musikgeschmack ausübte.

 


18. Katy Perry - "I Kissed a Girl" (2008)

Katy Perrys Durchbruch "I Kissed a Girl" ist ein Lehrbeispiel für Marketing durch Provokation. In einem Amerika, das noch stark von der konservativen Bush-Ära geprägt war, wirkte der Text über das Experimentieren mit gleichgeschlechtlicher Liebe ("The taste of her cherry chapstick") skandalös genug, um Aufmerksamkeit zu erregen, blieb aber pop-tauglich genug für das Radio.

Interessanterweise gab es bereits in den 90ern einen Song mit demselben Titel von der Sängerin Jill Sobule, der ebenfalls von lesbischen Erfahrungen handelte. Sobule äußerte sich später verbittert darüber, dass Perrys "Girls Gone Wild"-Version ihren ernsteren, emotionaleren Song aus dem kulturellen Gedächtnis verdrängte. Perrys Version, unterstützt von Madonna, die den Song öffentlich lobte, zementierte ihren Status als neuer Superstar und läutete eine Ära des bunten, überdrehten Pop ein.

 


19. The Black Eyed Peas - "I Gotta Feeling" (2009)

Zum Ende des Jahrzehnts hin veränderte sich der Sound des US-Pop drastisch durch den Einfluss europäischer Dance-Musik. "I Gotta Feeling", produziert vom französischen DJ David Guetta, ist der Höhepunkt dieser Entwicklung. Der Song verzichtet auf komplexe Strukturen und setzt voll auf Repetition und Euphorie ("Tonight's gonna be a good night").

Obwohl der Song oberflächlich pure Freude ausstrahlt, wird er in der Popkultur-Analyse oft als Beispiel für "krisenhaften Hedonismus" zitiert. Veröffentlicht kurz nach der Finanzkrise 2008, bot er Eskapismus pur. Kritiker und Hörer bemerkten oft eine seltsame Melancholie in der Akkordfolge und der Art, wie der Song produziert ist - ein Phänomen, das ihn zum perfekten Soundtrack für das Ende einer Party (und eines Jahrzehnts) macht, wenn das Licht angeht und die Realität zurückkehrt. Kommerziell war er unschlagbar und hielt lange den Rekord als meistverkaufter digitaler Song der Geschichte.

 


20. Eminem - "Lose Yourself" (2002)

Eminems "Lose Yourself" aus dem semi-biografischen Film 8 Mile ist der Song, der Hip-Hop endgültig die Anerkennung des kulturellen Establishments brachte. Als erster Rap-Song überhaupt gewann er den Oscar für den besten Original-Song.

Die Arbeitsweise hinter dem Hit ist legendär: Eminem schrieb und nahm alle drei Strophen in den Drehpausen am Filmset auf, oft in einem mobilen Studio-Trailer. Es heißt, die Vocals seien in einem einzigen Take aufgenommen worden, was die immense technische Präzision Eminems unterstreicht. Die Anekdote zur Oscar-Verleihung ist bezeichnend für seine Haltung: Eminem blieb der Zeremonie fern, weil er nicht glaubte, gewinnen zu können, und schlief stattdessen zu Hause, während im Fernsehen Cartoons liefen. Erst 18 Jahre später, 2020, trat er auf die Oscar-Bühne, um die Performance nachzuholen - ein Beweis für die absolute Zeitlosigkeit des Tracks.

 


Fazit: Ein Jahrzehnt der Extreme

Die Analyse dieser 20 Songs offenbart ein Jahrzehnt, das sich nicht auf einen Nenner bringen lässt. Es war die Ära, in der ein moldauischer Sommersong ("Dragostea din tei") neben der lyrischen Brillanz eines Eminem ("Lose Yourself") koexistieren konnte. Es war die Zeit, in der das Internet begann, die Regeln zu diktieren ("Schnappi", "Crazy"), und in der das Fernsehen noch einmal seine ganze Macht demonstrierte ("Daylight in Your Eyes", "Jungle Drum").

Musikalisch sahen wir die Verschmelzung von Genres: R&B traf auf Eurodance, Country auf Hip-Hop, und Schlager wurde wieder salonfähig. Diese Songs sind mehr als nur nostalgische Erinnerungen; sie sind Marker eines tiefgreifenden Wandels in der Art und Weise, wie wir Musik konsumieren, verbreiten und bewerten. Sie legten das Fundament für die heutige, algorithmisch getriebene Musiklandschaft.

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Über den Autor
S. Wernke-Schmiesing

Während meines Studiums gründeten wir 2008 die Dance-Charts. Als reine Musik-Promotion-Agentur gestartet, entwickelte sich die Plattform zu einem der größten Blogs und News-Portale für Dance-Musik in Deutschland. Als Chefredakteur heißt es täglich News recherchieren und Entscheidungen treffen. Neben der Tätigkeit für die Agentur bin ich regelmäßig als DJ in Clubs und Großraumdiskotheken unterwegs.

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