Vor einigen Jahren ging es aufgrund von Streamingdiensten mit dem Umsatz der Musikbranche noch steil Berg ab, doch in den letzten Jahren hat sich Streaming zu einer der wichtigsten Einnahmequelle für Musiker entwickelt und ist zudem für den seit 2014 andauernden Aufwärtstrend im weltweiten Markt für Musikaufnahmen verantwortlich. Doch warum beschweren sich nun immer mehr Musik-Stars über das momentane Geschäft, das Spotify & Co. betreiben? Die Antwort darauf sowie einen Lösungsvorschlag und vieles mehr gibt es in diesem Artikel.
Problem 1: Die Einnahmen aus Musik-Streaming werden für Musik immer wichtiger, da während die Einnahmen aus physischen Tonträgern mittlerweile rapide fallen, Streaming in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Laut neusten Zahlen gab es im letzten Jahr alleine in Deutschland 94 Milliarden Streams. Doch die Musiker denken, dass sie zu wenig durch Musik-Streaming verdienen würden. Wie kommt es dazu? In erster Linie ist es so, dass ein großer Anteil der Einnahmen, die durch Streaming generiert werden, gar nicht an die Künstler selbst, sondern an andere Beteiligte im Musikgeschäft wie an die Labels oder auch an die Streamingplattformen gehen. Hinzu kommen die Steuern, die den tatsächlichen Verdienst noch einmal deutlich senken.
Ein Beispiel: Für ein Abonnement bei Spotify zahlen Hörer monatlich zehn Euro. Von diesen behält der schwedische Konzern üblicherweise rund 30%. Bei einem Abonnement von zehn Euro macht das also drei Euro. Einen ebenso großen Anteil erhalten die Labels, die laut Brancheninformationen als Rechteinhaber häufig nur 80 Cent oder weniger an die Musiker selbst zahlen. Die restlichen 40% gehen an Songwriter, Produzenten, Abrechnungsdienstleister, Musikverlage und durch die Mehrwertsteuern auch an den Staat. Mit den mickrigen 80 Cent (8%), die die Künstler vom Kuchen abbekommen, sind viele Musik-Stars nun nicht mehr zufrieden.
Problem 2: Des Weiteren üben die Musiker gemeinsam mit ihren Anwälten auch Kritik am aktuellen Auszahlungssystem, das die Streaminganbieter selbst bestimmen, aus. Denn die Bezahlung ist laut ihnen nicht nur aufgrund der Geldverteilung unfair. Um das zu verstehen, müssen wir uns zunächst einmal das aktuell gängige System anschauen. Das momentan übliche Auszahlungssystem der Streamingdienste ist das „Pro Rata“-Modell. In diesem Modell werden alle Einnahmen, die an die Labels der Künstler gehen (also rund 30% der Gesamteinnahmen), in einem riesigen Topf gesammelt und mit Hilfe eines Verteilungsschlüssels regelmäßig an die Labels ausgezahlt. Gezahlt wird in diesem System nicht pro Hörer, sondern pro Stream, was das größte Problem des aktuell von den Streamingdiensten präferierten Systems darstellt. Insgesamt schüttete das schwedische Unternehmen im letzten Jahr 300 Millionen Euro aus. Pro Stream werden laut Bild-Informationen 0,0032 Euro an die Labels gezahlt. Für einen Track, der eine Millionen Streams sammelt, zahlt Spotify somit 3200 Euro an die Labels. Das hört sich jetzt zu nächst einmal nach einem profitablen Modell an und das ist es auch, aber viele Musiker und auch einige Experten sind mittlerweile der Meinung, dass dieses Konzept nicht mehr tragbar ist. Das Problem wollen wir euch nun mit einem kleinen Beispiel näherbringen.
Ein Beispiel: 100 Personen haben ein Spotify-Abonnement für zehn Euro im Monat gebucht und zahlen somit insgesamt 1000 Euro an das Unternehmen. Einer dieser 100 Personen spielt die Musik von Musiker A in Dauerschleife ab. Er hört die Musik seines Idols jedoch auch nicht dauerhaft, sondern lässt sie beispielsweise auch lautlos bei der Arbeit oder in der Schule laufen. Bei durchschnittlich dreiminütigen Songs würde er somit monatlich 14800 Streams generieren. Durch diese 14800 Streams würde das Label des Künstlers 47,36 Euro erhalten, von denen der Musiker selber knapp über 25 Prozent also um die 12 Euro bekommen würde. Das Problem: Der Kunde hat insgesamt nur zehn Euro an Spotify gezahlt, aber Spotify zahlt fast das Fünffache an das Label von Künstler A aus. Doch was ist mit den 99 anderen Personen aus unserem Beispiel? Wir nehmen an, dass diese seltener, aber mit Leidenschaft Musik hören und unseren zweiten Künstler Musiker B so nur zehnmal im Monat hören. Insgesamt generiert Musiker B also 999 Streams. Sein Label würde somit ungefähr 3,20 Euro erhalten, von denen er ca. 80 Cent also 0,80 Euro in seine eigene Tasche stecken könnte. Doch insgesamt haben seine Fans 990 Euro an Spotify gezahlt, die in diesem Fall nur einen winzigen Betrag der Gesamteinnahmen auszahlen. Obwohl Musiker A also deutlich weniger Zuhörer hat, bekommen er und sein Label mehr Geld von Spotify als Musiker B, der für viel mehr Einnahmen des Unternehmens gesorgt hat und gemeinsam mit seinem Label nur einen sehr geringen Anteil davon erhält.
Das Problem sollte im Beispiel ziemlich deutlich geworden sein, aber hier noch einmal eine Kurzfassung: Musiker, die wenige Hörer haben, aber aus irgendeinem Grund, der häufig mit Tricks zusammenhängt, eine für ihre Zuhörerschaft überdimensional große Anzahl an Streams generieren, erhalten mehr Geld als Musiker, die weniger Streams, aber dafür eine viel größere Anzahl an zahlenden Kunden haben und somit auch mehr Einnahmen für Spotify generieren. Natürlich muss eine überdimensional große Anzahl an Streams im Vergleich zu den Hörern nicht zwingend mit einem Trick zusammenhängen, aber die Vermutung liegt nahe. Selbst wenn man unbeachtet lässt, wie einfach in diesem System getrickst werden kann, stellt sich jedoch die Frage, ob die Bezahlung fair ist. Denn ein Spotify-Abonnent, der wenig Musik hört, zahlt genauso viel wie einer, der sehr viel hört. Wenn man sich überlegt, dass Musiker die Hörer haben, die weniger häufig ihre Musik hören, weniger verdienen als Musiker die Hörer haben, die Musik beinahe in Dauerschleife hören, obwohl sie von gleich vielen zahlenden Kunden gehört werden, muss das aktuelle System auf jeden Fall in Frage gestellt werden. Hinzu kommt, die gerade bereits mehrfach erwähnte Betrugsanfälligkeit des Systems, auf die wir jetzt noch genauer eingehen wollen. Musiker und Labels versuchen natürlich alle legalen Tricks oder diese, die sich noch in der Grauzone befinden, anzuwenden, um möglichst viele Streams zu generieren und somit auch möglichst viel Geld zu erhalten. Doch welche legalen Tricks gibt es denn?
Beispielsweise wurden schon mehrfach Aufrufe gestartet, die versprachen, dass die Stadt, die einen Song am häufigsten streamt einen Gratis-Auftritt oder ähnliches bekommt. Das hatte ohne Ende Streams zu Folge, denn für die Fans kostet es keinen Cent parallel bei der Arbeit oder in der Schule einen Song in Dauerschleife lautlos auf dem Handy laufen zu lassen (ähnlich wie bei unserem ersten Hörer in Beispiel 2). Den Stars und deren Labels hingegen wird das Geld, dadurch nur so entgegen geworfen. Legal ist diese Methode auch wenn Spotify laut Bild bereits mehrfach versucht hat dagegen anzugehen, aber sie hatten rechtlich nichts in der Hand, weshalb die Labels und Künstler sich das Ganze weiterhin zu Nutze machen. Doch natürlich gibt es auch noch die illegalen Methoden. Eigentlich muss man in dieser Stelle nur einen Namen erwähnen und zwar Kai. Wer jetzt noch nicht Bescheid weiß hat den wohl größten deutschen Musikskandal des letzten Jahres verpasst. Denn im letzten Jahr nahm der YouTube-Kanal „Y-Kollektiv“ eine Reportage auf, in der der Moderator zu Besuch bei einem unbekannten Hacker war, der in der Reportage Kai genannt wird. Dieser behauptete, dass er für viele bekannte deutsche Musik-Stars Streams in riesigen Massen generieren würde. Laut ihm wüssten viele der Musiker selber jedoch gar nichts über den Kauf der Streams, sondern ihre Manager würden sich bei ihm melden und alles regeln. Kai sagte, dass er 150000 deutsche Spotify-Accounts habe, die alle das gewünschte Lied in einer Playlist oder einzeln in Dauerschleife hören würden. Das Motiv dieser Aussage war laut Kai, dass ihn einige seiner Kunden nicht bezahlt hätten. Die Glaubwürdigkeit des Szenarios erhöhte der Kanal noch einmal dadurch, dass der Moderator einen eigenen Song aufnahm, der durch Kai in wenigen Stunden mehrere Hunderttausend-Streams sammelte. Doch auch wenn ein solches Vorgehen zu nächst einmal illegal wirkt, muss man sich dennoch die rechtliche Frage stellen, ob Spotify überhaupt eine Möglichkeit hat, gegen solche Fälle vorzugehen. Das Problem besteht darin, dass jemand, der 150000 Accounts besitzt, dafür auch zahlt. Ist es dann illegal, wenn diese Accounts einzelne Lieder in Dauerschleife hören?
Auf eine derartige Anfrage der Bild, antwortete der schwedische Konzern Spotify nicht. Doch laut Bild besitzt Spotify eine interne Abteilung, die sich lediglich damit beschäftigt Betrugsfälle aufzudecken. Ob diese Abteilung jedoch einen so wirksamen Effekt hat, ist in Frage zu stellen. Zudem packte ein Insider vor kurzem gegenüber der Bild aus und schilderte, dass es momentan in der Rap-Szene aufgrund von gekauften Streams (und übrigens auch des Verdachts auf Geldwäsche) richtig krachen würde. Labels und Manager würden sich gegenseitig in Tasche lügen und dadurch Unmengen an Geld erhalten. Die Labels hätten kein Problem mit den Maschen der Rapper und deren Manager, da sie dadurch auch Geld verdienen würden und ihnen dazu jedes Mittel recht wäre. Zwar wollte Warner diese Anschuldigungen nicht so stehen lassen, weshalb eine Sprecherin sich äußerte, dass man sich bemühe gegen gekaufte Streams vorzugehen, weshalb sie mit anderen großen Unternehmen der Musikindustrie einen „Anti-Stream Manipulation Code of Best Practice“ unterzeichnet hätten, mit dessen Hilfe die unfairen Praktiken eingeschränkt werden sollen, aber dennoch ist in Frage zu stellen, ob die Labels wirklich so unschuldig an der ganzen Betrugsproblematik sind wie sie behaupten.
Das momentane Modell und dessen Probleme haben wir euch gerade vorgestellt. Die Musiker und deren Anwälte, die sich in einem Brandbrief nicht an die Streamingdienste, sondern an die vier marktführenden Labels (Universal Music, Sony Music, Warner Music und die Bertelsmann-Musik-Sparte BMG) gewendet haben, fordern eine völlige Überarbeitung bzw. Abschaffung des aktuellen Modells. Die immer größer werdende Initiative, die übrigens auch von Musikern wie Helene Fischer und Herbert Grönemeyer unterstützt wird, rund um den Unterzeichnerkreis des Brandbriefs befürwortet die Einführung des nutzerzentrierten Abrechnungsmodells, das UCPS (User Centric Payment System) genannt wird. Bei einer Anwendung des UCPS würden die Abogebühren eines Streamingnutzers ausschließlich unter den von ihm gehörten Künstlern verteilt werden. Durch dieses Konzept wären die momentanen Betrugsmöglichkeiten kaum noch möglich und auch sonst wäre das Bezahlungssystem deutlich fairer. Des Weiteren würden gerade junge, unbekannte Musiker profitieren. Auch Nischen-Genres würden derartige Veränderung des Modells positiv zu spüren bekommen. Das sieht auch der Vorstandsvorsitzende Mark Chung, des Verbands unabhängiger Musiker, kurz VUT, so. Ob große Stars wie Helene Fischer durch das UCPS mehr ausgeschüttet bekommen würden, ist hingegen nicht sicher. Für solche Ambitionen wären jedoch auch Verhandlungen mit ihrem Label Universal Music zielführender und üblicher. Zudem ist merkwürdig an wen sich das aktuelle Schreiben gerichtet hat, denn zum Adressatenkreis zählten die Streamingdienste, ohne die eine derartige Änderung gar nicht möglich wäre, nicht.
Für die Kritiker des UCPS, wie den ehemaligen Spotify-Chef-Ökonomen Will Page, ist die Umsetzung des nutzerbasierten Systems zu kompliziert. Laut ihnen sei das Modell nicht völlig durchdacht, da die komplexeren Abrechnungspraxen, die höhere Kosten und somit auch geringer ausfallende Ausschüttungen zu Folge hätten. Zudem hängt die Umsetzung dieses Modells vor allem davon ab, ob alle großen Streaminganbieter mitziehen würden, da es zu Problemen führen könnte, wenn verschiedene Systeme parallel laufen würden. Eine kurzfristige Änderung des Systems ist somit kaum möglich.
Obwohl Experten von Alleingängen abraten, hat sich der französische Streamingdienst Deezer dazu entschlossen im Laufe des Jahres das UCPS-Modell in Frankreich zu testen und auch in Deutschland laufen bereits Gespräche mit Verlagen, Labels und der GEMA. Ob einer der Marktführer Spotify oder Apple auf kurze Sicht folgen wird, ist zu bezweifeln, aber dennoch können wir gespannt auf den Test des kleineren Anbieters Deezers schauen.
Es ist festzuhalten, dass das aktuell gängige „Pro Rata“-Modell viele Probleme hat, an denen gearbeitet werden muss. Doch auch der Lösungsvorschlag der Musiker das UCPS-Modell ist nicht völlig durchdacht. Momentan ist das Risiko für einen völligen Umbruch des Systems für die Marktführer Spotify und Apple zu groß und lediglich der kleinere Anbieter Deezer probiert es mit einem Umschwung und kann daraus möglicherweise sogar profitieren. Momentan wird also fieberhaft nach einer Lösung gesucht, die vermutlich aber noch länger auf sich warten lässt. Jetzt sind vor allem die Labels, die sich momentan noch alle eher bedeckt halten, gefragt. Sie müssen als Sprechrohr der Künstler dienen und sich möglichst schnell in Gespräche mit Vertretern der Streaminganbieter und Experten treten. Für uns Hörer wird sich vermutlich selbst bei einer abrupten, kurzfristigen Änderung nicht viel ändern. Dennoch sind wir auf weitere Entwicklungen zu diesem Thema gespannt und werden euch auf dem Laufenden halten. Zunächst einmal können wir jedoch nur gespannt auf den Test Deezers gucken, der in der zweiten Hälfte dieses Jahres in Frankreich starten soll.