Martin Garrix fährt seit seiner Neuausrichtung im Jahre 2015 zwei Schienen. Auf der einen werden Radio-Tracks a la ”In The Name of Love”, ”Scared To Be Lonely” oder auch ”So Far Away” veröffentlicht. Diese dienen lediglich zu Promotion-Zwecken und einer Etablierung bzw. Festigung im Mainstream. Die zweite Schiene stellt eine weichere Form seiner Festival-Songs dar. Da hätten wir seitdem bspw. ”Byte”, ”Forever”, “Like I Do” oder zuletzt ”Game Over“. Sein neuestes Werk ”Ocean” mit Khalid befindet sich definitiv auf Gleis eins. Geht da was in den Single-Charts?
Das Management des 22-Jährigen achtet auf eine abwechslungsreiche Release-Schedule. Radio und Club wechseln sich daher charakteristisch bei Veröffentlichungen ab. Vor einem halben Jahr erfolgte der Letzte Angriff auf die Top 10 gemeinsam mit David Guetta und “So Far Away“. Das Lied hatte Startschwierigkeiten und konnte auch Monate später nie vollends zünden, obwohl es durchaus das Niveau und Potenzial gehabt hätte. Jetzt soll es mit Gesangstalent Khalid klappen, der bei Marshmellos Überraschungshit “Silence“ eine Spitzenleistung ablieferte.
Wo bisher bei allen Tracks einen mehr oder minder starken Drop gab, und einen daraus resultierenden Party-Faktor, schwächelt “Ocean“ auf ganzer Linie. Doch beginnen wir mit dem Intro.
Nach den sanften Piano-Klängen und mit atmosphärisch präsentem Subbass steigt die Kick in Breakbeat-Manier ein. Neu ist das für uns bei Garrix nicht. Kurz darauf folgt der stärkste Part des Titels: die Bridge setzt ein. Perfekt gleichen sich die Streicher an Khalids einzigartige Stimme an, welcher in seiner ganz eigenen Art traurig und kraftspendend zugleich klingt.
Gerade noch von der besten Passage gesprochen, stoßen wir nun auf den schwächsten Teil - und das ist fatalerweise der Refrain. Zu fast schon „billig“ wirkenden Vocal-Chops werden uns 08/15-Gitarren geboten. Wer hier noch nicht eingeschlafen ist, der darf sich lediglich auf die nächste Bridge freuen, denn sonst begegnet uns das gleiche Konzept direkt nochmal.
Für manche war “In The Name of Love” schon ein Schock. „Wird Martin Garrix jetzt komplett auf Pop umsteigen?“, nein, so kam es glücklicherweise nicht. An den Riesenerfolg der Nummer konnte der amtierende Top-DJ der Welt in dem Kaliber nicht mehr anknüpfen. Jetzt soll es mit einem sehr krisensicheren Stil funktionieren: 08/15-Radio-Pop. Nicht allen Fans wird das gefallen, Sendern wie WDR 2 umso mehr, die diesen Weichspüler gerne in ihre Playlist aufnehmen werden. Live wäre “Ocean“ der Stimmungskiller schlechthin. Aufgrund der bärenstarken Bridge sprechen wir dennoch eine hohe Chartplatzierung als Prognose aus. Abgesehen davon scheint die große Mehrheit der deutschen Radio-Zuhörerschaft relativ anspruchslos zu sein. Ein Blick auf unsere Nachbarn in den Niederlanden zeigt, wie das besser gehen könnte.
Fazit: Martin Garrix und Khalid veröffentlichen mit “Ocean“ eine sehr entspannte Pop-Single, die sich ihren Weg in die Top 10 bahnen wird. Fans der ersten Stunde werden vom Niederländer enttäuscht sein, da von EDM keine Spur mehr zu hören ist. Sollte die Nummer eins der DJ Mag Top 100 solche Musik releasen?