Im vergangenen Jahr schaffte es Hardstyle auf unsere Liste der zehn elektronischen Genres, die im Sterben liegen. Bereits seit den 90er-Jahren sorgt diese stetig im Wandel befindliche Stilrichtung für Eskalation auf den deutschen und internationalen Floors. Der Andrang auf das Genre ist jedoch seit seiner Blütezeit Mitte des letzten Jahrzehnts stark abgeschwollen. Wichtige Artists wie Headhunterz, Showtek oder D-Block & S-Te-Fan (nun als Bigroom-Produzenten unter dem Namen „DBSTF“ bekannt) verließen das anscheinend sinkende Schiff in den vergangenen Jahren und stimmten zahlreiche Fans der wohl loyalsten Fangemeinde der Musikwelt traurig. In den vergangenen Monaten erfolgte allerdings eine (gar nicht mal so unerwartete) Entwicklung der elektronischen Musik, die bei entsprechender Nutzung einen großen und dabei sogar durchaus positiven Einfluss auf den Hardstyle und seine diversen Subgenres entfalten könnte: Genau, es ist der EDM-Trap oder besser „Future Pop“!
In den vergangenen Jahren sah es eigentlich eher schlecht für das ehemalige Topgenre der elektronischen Tanzmusik aus. Trotz einer stets wachsenden und unfassbar treuen Fanbase ist der Hardstyle ebenso schnell aus dem kommerziellen Bereich verschwunden wie so manch anderes Genre (gewisse „Experten“ hyperventilieren heutzutage ja bereits, wenn ein Artist nicht mit jedem Track einen völlig neuen Stil kreiert...). Einige Artists wie Showtek oder Headhunterz verließen das Genre wie Ratten das sinkende Schiff in Richtung Bigroom House. Eigentlich hätten Otto und Emma Normalverbraucher denken können, der Hardstyle hätte denselben Weg genommen, wie ihrerzeit die Dinosaurier.
Und doch hielt sich der Stil hartnäckig und ist heutzutage so angesagt wie nie. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Hardstyle-Remixe erfolgreicher Festivaltracks finden oftmals den Weg in die Maistage-Sets beliebter DJs, darunter beispielsweise der inzwischen legendäre Headhunterz-Remix zu Hardwells Hymne „Spaceman“ oder auch der Bass Modulators Remix zu „Big Bang“ des deutschen Acts twoloud. Insgesamt haben sich einige Hardstyle-Produzenten sehr nahe an den Bigroom herangewagt. Angesichts der seit 2013 andauernden Bigroom-Welle in der elektronischen Tanzmusik muss das ja nichts Schlechtes sein. Das bezieht sich natürlich nur auf den melodischeren Nu-Style, die weitaus massentauglichere Strömung, der Raw-Style hingegen ist von dieser Entwicklung kaum betroffen und bringt weiterhin meist reine „In-your-Face“-Tracks hervor.
Und es geht noch weiter: Nicht nur dass der Hardstyle stellenweise an den Bigroom herangerückt ist, sondern auch eine entgegengesetzte Bewegung ist zuletzt erkennbar. Glaubt Ihr nicht? Kommenden Freitag erscheint Hardwells erster Solo-Hardstyle-Track „Wake Up Call“, den er mit starken Hilfeleistungen des Hardstylers Atmozfears produzierte und seit dem Ultra Music Festival 2016 als Closing-Track nutzt. Zuletzt erschien sein bombastischer Remix zum Chart-Kracher „Don't Let Me Down“ von den #selfie-Schützen The Chainsmokers, den er gemeinsam mit dem Nachwuchs-Hardstyler Sephyx produzierte.
Und unser Nummer-Eins-DJ der Herzen ist nicht allein damit. Auch die Bassjackers, Großmeister des Bigroom, setzten sich mit Coone, einem der aktuellen Gesichter der Hardstyle-Szene, zusammen und produzierten „Sound Barrier“, eine eher dem Raw-Style zugehörige Monströsität auf bis zu 150 Beats pro Minute. Sogar die iPad-Benutzer Dimitri Vegas & Like Mike nutzten in in „ihrem“ belgischen EM-Song „Melody“, einer Kollaboration mit Ummet Ozcan und Cakemaster Steve Aoki, Kickdrums, die sich mit fortschreitender Dauer des Tracks verdächtig nah an die für den Hardstyle typischen verzerrten Kicks heranbewegten.
Zu wenige Beweise? Na denn auf ein Neues: In den kommenden Wochen erscheint via W&Ws Label Mainstage Music Zatox' Track „Sunlight“, und damit ein sehr energiereicher Hardstyle-Track auf einem der größten Bigroom-Labels. Coones Remix zum oben angesprochenen Track „Melody“. Mainstage-Maestro MakJ (die Bauer-Sucht-Frau-Alliteration musste einfach mal sein...) wiederum wird demnächst eine Hardstyle-Kollaboration mit Zatox veröffentlichen.
Die Aussichten sind also mehr als gut. Die Fanbase gibt es ja ohnehin. Q-Dance-Events sind binnen kürzester Zeit restlos ausverkauft, Hardstyle-Festivals wie das Qlimax, defqon.1 oder auch Teile des Mysterylands erfreuen sich nach wie vor größter Beliebtheit. Zugleich bieten diverse Großraum-Clubs dankenswerterweise mit steter Regelmäßigkeit ganze Hardstyle-Nächte an, während derer einen ganzen Abend lang nur Hardstyler an den Decks stehen. Als besonders verdienstvoll erwies sich hierbei der Münchner Neuraum und das Kölner Bootshaus.
Zudem bauen viele Mainstage-Artists Hardstyle-Tracks in ihre Sets ein, um die Menge zum Ende ihrer Show nochmals zum Kochen zu bringen. Nie war die Stimmung im Neuraum besser, als zu dem Zeitpunkt, als die Bassjackers „Sound Barrier“ zündeten. Denn eines muss man dieser Musikrichtung lassen: Sie ruft Emotionen im Hörer hervor wie es sonst nur Trance vermag. Nicht nur die extrem treue Fanbase, sondern auch die führenden Acts sind im Wachstum begriffen. Ob es nun frische Gesichter wie Sephyx, Altmeister wie Brennan Heart und Wildstylez oder musikalische Magier wie Zatox, Frontliner, Atmozfears oder Coone sind, die Szene bringt immer wieder großartige Künstler hervor, die dieses Genre vertreten.
Wer sich gar nicht mit Genres anfreunden kann, sollte sich LNY TNZ einmal ansehen, dieses Projekt bringt immer wieder interessante Cross-Overs hervor. Und genau diese Cross-Overs könnten den Hardstyle vor dem Dinosaurier-Schicksal bewahren. Wieso? Lasst es uns metaphorisch ausdrücken: Sobald ein Genre seine besten Tracks hervorgebracht hat, ist der Erfolg dieses Stils auf herkömmlichem Wege kaum mehr steigerbar, Stagnation stellt sich ein und letztendlich folgt auf die Rezession die Depression. Das ist meist unvermeidlich und tritt dann ein, wenn ein Genre seine Geschichte erzählt hat.
Die Reise wäre damit zuende und der kommerzielle Tod eines Stils unausweichlich. Die einzige Rettung: Innovation! Wie zuvor ausgeführt konnte sich Hardstyle durch Verschmelzung mit dem Bigroom recht gut über Wasser halten, jetzt folgt ein neuer Stil, der sich sogar noch besser dafür eignet, der EDM-Trap, auch bekannt als Future Pop. Kaum eine Musikrichtung boomt aktuell so stark wie diese. Kommerzielle Erfolge gab es mit „Don't Let Me Down“ und „Roses“ von den Chainsmokers oder als Paradebeispiel Major Lazers Megahit „Lean On“. Den Aufstieg des Genres dürfte auch David Guettas und Zara Larssons EM-Hymne „This One's For You“ belegen, die aktuell vom EM-Turnier bedingt weltweit die Charts stürmt.
Und genau da ist der Ansatzpunkt, der in letzter Zeit schon öfters bemüht wurde: Beide Stile, Hardstyle und Trap, bewegen sich in einem ähnlichen Tempo zwischen 140 und 180 Schlägen in der Minute (double-time, je nach Messung kann Trap auch zwischen 70 und 90 BPM liegen, aber in jedem Falle passt beides hervorragend zusammen). Es ist also ein Leichtes, beides auf diese Weise miteinander zu kombinieren. Ein Paradebeispiel liefern Sephyx und Hardwell mit ihrem Remix zu „Don't Let Me Down“.
Einen weiteren Versuch wagten bereits vor einem halben Jahr Dirtcaps mit ihrem Remix zu Hardwells und W&Ws Festival-Kracher „Don't Stop the Madness“, wenngleich das Prinzip hier ein anderes ist: In ersterem Remix bleiben die Breakparts trappig und der Drop wird zum Hardstyle-Monster, während sich Dirtcaps' Track zunächst eines Trapdrops bedient und erst im zweiten Drop auf das typische, von Otto Normalverbraucher aufgrund des stumpfen Four-On-The-Floor-Beats meist als „braindead“ empfundene, Hardstyle-Arrangement verfällt. Wirklich interessant ist allerdings Dirtcaps' neuestes Projekt: Die Kollaboration „Sniper“ zusammen mit dem Hardstyler Coone wird im kommenden Monat auf dessen Album „Less is More“ erscheinen. Der Beginn trägt typische Züge des aktuell aufstrebenden Future Pop und mutet fast wie eine Produktion der Chainsmokers an. Bis zu einem gewissen Grad hätte dieser Track so sogar das Zeug zum kommerziellen Erfolg.
Die Drops sind dann jeweils im Hardstyle gehalten und mit einer ungemein eingängigen Hookline ausgestattet. Der Trick an der ganzen Sache: Im Drop schwenken die Produzenten stellenweise in einen Trapbeat um und erzeugen so eine angenehme Abwechslung. Insgesamt eine hervorragende Umsetzung einer schönen Idee. Ein kommerzieller Erfolg ist zwar sehr fraglich, aber ein überaus gelungener Track ist es allemal!