Über ein Jahr ist es nun her, dass mit Avicii einer der größten Künstler des EDMs von uns gegangen ist. Ohne Frage ist er eine der mit Abstand prägendsten Figuren der elektronischen, aber auch der modernen Popmusik. Nachdem seine Familie, Freunde und Studiopartner lange Zeit mit der Situation zu kämpfen hatten, beschlossen sie im April dieses Jahres zu verkünden, dass seine Fans die Musik, an der er kurz vor seinem Tod arbeitete, zu hören bekommen werden. Datiert auf dem 6. Juni 2019 sollte diese als erstes posthumes Album veröffentlicht werden. Mit „SOS“ und „Tough Love“ erhielten wir erste viel versprechende Vorgeschmäcker und wer Avicii kennt, der weiß, dass seine Alben in der obersten Liga mitspielen. Welche Überraschungen auf „Tim“ warten, erfahrt Ihr im Folgenden.
Tatsächlich begann der schwedische Produzent Tim Bergling alias Avicii bereits im Jahr 2016 mit den ersten Plänen und Produktionen dieses Albums, das in Form dreier EPs ab 2017 veröffentlicht werden sollte. Unterstützung erhielt er unter anderem von den Axwell-Λ-Ingrosso-Songwritern Vargas & Lagola und dem damalige One-Direction-Produzent Carl Falk, die allesamt auch enge Freunde von Bergling waren. Bereits im August 2017 erschien der erste Teil der Serie: „Avīci (01)“ mit unter anderem Liedern wie „Without You“ und „Lonely Together“.
Noch vor Vollendung der weiteren beiden Teile, erreichte die Familie und das Team am 20. April 2019 die Nachricht, dass Avicii, der sich zu jener Zeit im Urlaub im Oman befand, Tod aufgefunden wurde. (wir berichten) Fragen über Fragen folgten nicht zuletzt aus den Reihen der Fans. Nicht nur seien YouTube und SoundCloud überschwemmt mit unveröffentlichtem Material aus den letzten Jahren, so gaben auch Management und Familie bekannt, dass Avicii kurz vor seinem Tod an über 200 Liedern arbeitete. Es wären die besten seit langem gewesen.
Nachdem Aloe Blacc und Carl Falk Hinweise auf eine mögliche Veröffentlichung der Lieder streuten, wurde im April 2019 das Album angekündigt. Neben den bereits erwähnten Produzenten, war auch das Team um Kristoffer Fogelmark alias Bonn (Sänger von "High on Life" von Martin Garrix) und Albin Nedler involviert. Diese stellten auch gemeinsam mit Aloe Blacc den ersten Vorboten des Albums „SOS“ fertig, der mit emotionalen Text und einer Avicii-typischen Melodie viele Fans zu Tränen rührte.
Nachdem „SOS“ und „Tough Love“ nahtlos dort anschlossen, wo Avicii im vergangenen Jahr endete, hieß es für die Produzenten natürlich auch, dass sie auch die 10 weiteren Tracks des Albums so fertigstellen mussten, wie Avicii es getan hätte. Auch wenn sie bereits Monate oder gar Jahre mit dem Schweden zusammenarbeiten, berichteten sie, dass es kein Leichtes gewesen wäre. Carls Falk gab dazu ein Statement in der New York Times ab:
„Ich versuche bei der Produktion durch die Augen von jemand anderes zu schauen und durch die Ohren von jemand anderen zu Hören − durch diejenigen von jemandem, der nicht hier ist. Es war wirklich schwer sich nicht ständig selbst zu kritisieren. Würde er es mögen? Was hätte er getan?“
Die Tracklist besteht aus den folgenden 12 Liedern:
01. Peace of Mind (feat. Vargas & Lagola)
02. Heaven (feat. Chris Martin)
03. SOS (feat. Aloe Blacc)
04. Tough Love (feat. Agnes and Vargas & Lagola)
05. Bad Reputation (feat. Joe Janiak)
06. Ain't a Thing (feat. Bonn)
07. Hold the Line (feat. A R I Z O N A)
08. Freak (feat. Bonn)
09. Excuse Me Mr. Sir (feat. Vargas & Lagola)
10. Heart Upon My Sleeve (feat. Imagine Dragons)
11. Never Leave Me (feat. Joe Janiak)
12. Fades Away (feat. Noonie Bao)
Zwei Lieder fallen beim ersten Blick auf die Auswahl direkt ins Auge. Das wäre zum einen „Heaven“ und zum anderen „Heart Upon My Sleeve“. „Heaven“ ist eines der mit Abstand am meisten nachgefragten unveröffentlichten Lieder der letzten Jahre. Es besteht aus tiefgehenden Lyrics und einer warmen, von Avicii-Merkmalen geprägten Melodie. Entstanden ist der Song bereits zu „Stories“-Zeiten gemeinsam mit Chris Martin, dem Leadsänger von Coldplay. Jedoch wurde er nie zu Ende produziert, geschweige denn veröffentlicht. In der letzten Session vor seinem Tod, soll er ihn gemeinsam mit Carl Falk nahezu beendet haben. Ein posthumes Album ohne diesen Song, wäre praktisch unvorstellbar.
„Heart Upon My Sleeve“ war bereits Teil von Aviciis Debüt-Album „True“- jedoch als Instrumentalversion. Bereits beim Ultra Music Festival 2013 spielte Bergling eine Vocal-Version mit dem Gesang von Daniel Reynolds, die es aus Gründen nicht auf das Album schaffte. Nun werden wir die Vollversion mit Gänsehaut versprühenden Vocals auf „Tim“ genießen können.
Bei den weiteren Liedern entschied sich das Team gegen bereits bekannte Tracks wie etwa „Don’t Give Up On Us“ oder „Our Love“ und somit ausschließlich für neue Produktionen. Diese orientieren sich stark an dem Sound, den Avicii im Laufe der ersten „Avīci“-EP entwickelte und enthalten leider kaum Spuren seines ursprünglichen Progressive-House-Stiles.
„Bad Reputation“ etwa geht in eine ähnliche Richtung wie „SOS“, geprägt von einem leichten Dancehall-Vibe aber einer fast noch stärkeren Tropical-House-Note. Der Gesang von Joe Janiak gefällt hierbei sehr gut. An dieses Muster schließt auch der Song „Freak“ an. Ein Großteil der weiteren Titelliste wird von einer Mischung aus Pop und Future-Bass Produktionen dominiert. Den Anfang machen dabei die Lieder „Ain't a Thing“ und „Hold the Line“. Letzteres entstand in Kollaboration mit der US-amerikanischen Band A R I Z O N A, dessen Frontsänger eine verblüffende Ähnlichkeit zur Stimme von Bastilles Frontsänger Dan Smith. In dem Song „Never Leaves Me“ punktet ein weiteres Mal die Stimme von Janiak mitsamt einer guten Melodie, während das Sounddesign viel mehr an eine Jonas-Blue-Produktion erinnert. Bei „Excuse Me Mr. Sir“ treffen wir auf eine etwas düsterere experimentelle Produktion, die noch einmal für etwas Abwechslung sorgt. Den Ausklang gibt eine Kollaboration mit der „I-Could-Be-the-One“-Sängerin Noonie Bao. Der Track trägt den Titel „Fades Away“ und wird durch den Einsatz von Violinen gesteuert.
Die Bonus-Version des Albums enthält zusätzlich zur ursprünglichen Titelliste das offizielle Musikvideo des Liedes „SOS“ sowie die auch die auf YouTube zu findenden „The-Story-Behind“-Videos, die die Entstehung des Albums und des Songs „SOS“ beleuchten.
Fazit: Das Album enthält großartige Texte und beeindruckende Melodien, eben das, für was Avicii in der Szene bekannt war, zeitgleich wirkt es aber auch wie ein, nach der letzten EP weiterer Schritt in Richtung Popmusik. Natürlich war es richtig jene Lieder für die Titelliste auszuwählen, an denen Avicii vor seinem Tod arbeitete und zuletzt schrieb, jedoch fehlen hier auch eben solche Lieder, die den Beginn seiner Karriere beschreiben. Als ein weiteres Studioalbum von Avicii würde es problemlos durchgehen, doch für die Rolle eines posthumen Albums fehlt es hier an Charisma.
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